02. März 2000:
Der Berliner Beauftragte für Datenschutz und Akteneinsicht, Prof. Dr. Hansjürgen Garstka (Mitte), sein Vertreter Dipl. Informatiker Hanns-Wilhelm Heibey (links) und seine Vertreterin Claudia Schmid
|
Der Berliner Beauftragte für Datenschutz und Akteneinsicht, Prof. Dr. Hansjürgen Garstka,
stellte heute seinen Tätigkeitsbericht für das Jahr 1999 vor.
Neben den Schwerpunktthemen
enthält der Bericht 119 Beiträge zur Gesetzgebung, zu Verwaltungsvorschriften, zur Rechtsprechung, Bürgerbeschwerden und Überprüfungen von Amts wegen in den einzelnen Geschäftsbereichen des Senats und bei Unternehmen.
Garstka rechnet mit der Novellierung des Bundesdatenschutzgesetzes in diesem Jahr. Er
kritisierte, dass die dreijährige Umsetzungsfrist für die EU-Richtlinie versäumt wurde. Der vorliegende Gesetzentwurf setzt zwar die Vorgaben der EU-Richtlinie im Gegensatz zu den Vorentwürfen hinreichend um. Wegen des zeitlichen Drucks war aber eine völlig neue Konzeption, die Richtlinienkonformität, Zukunftgerichtetheit und Verständlichkeit in sich vereinigt, nicht
mehr möglich. Garstka begrüßte, dass die Arbeit für eine Neuorientierung des Datenschutzrechtes, die auch Impulse für die Fortentwicklung der Informationstechnik geben muss, in
Kürze in Angriff genommen werden (1.1).
Im Gegensatz zu den Gesetzgebungsvorhaben auf Bundes- und Landesebene im vergangenen Jahr, die überwiegend entweder mehr Datenströme verursachen (Gesundheits- und Sozialbereich) oder mehr Befugnisse zu Eingriffen in das Persönlichkeitsrecht schaffen (Justiz, Polizeibereich), hat die Rechtsprechung den Datenschutz fortentwickelt. Das Bundesverfassungsgericht hat bei der Beurteilung der Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen des
BND zwar im wesentlichen die Befugnisse des BND bestätigt, dabei aber eine ganze Reihe
von verfahrensmäßigen Anforderungen zum Umgang mit den erlangten Daten formuliert, die
nicht nur für den BND gelten (1.1, 4.1.1, 4.1.2, 4.3.1). Das Recht der Verwaltung, den Gerichten
Akten aus Geheimhaltungsgründen vorzuenthalten, ist nach einer anderen Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichtes verfassungswidrig (1.1). Der Schutz der Persönlichkeitsrechte
von Prominenten gegenüber Bildberichterstattungen der Presse wurde vom Bundesverfassungsgericht gestärkt (1.1). Das Landesverfassungsgericht Mecklenburg-Vorpommern hat
die Befugnisse zur Schleierfahndung teilweise für verfassungswidrig erklärt (4.1.2).
Die immer undurchschaubarer werdenden Möglichkeiten der Informationstechnik machen den
Menschen zunehmend zum Objekt fremder Einflussnahmen. Datenschutz muss deshalb bereits
bei der Entwicklung neuer Technologien ansetzen und für Datensparsamkeit und Transparenz
sorgen. Garstka nannte als Beispiel heimliche Hard- und Softwaremerkmale wie die Chip-
Identifikationsnummer beim Pentium-III-Prozessor, die Hardware-Identifikationsnummer bei
Microsoft, Global Unique Identifiers (GUIDs) bei den Spaß-Programmen der Software-Firma
"Comet Systems", heimliche Identifikationsnummern bei einem Programm zur Musikwieder-
gabe von "Real NetWorks" und den Schlüssel "NSA KEY" in den Windows-Betriebssystemen
von Microsoft (2.1).
Garstka begrüßte das Gesetz zur Förderung der Informationsfreiheit im Land Berlin (IFG)
als Meilenstein auf dem Weg zu mehr Bürgerrechten und Transparenz in der Informationsgesellschaft. Das Gesetz ermöglicht jedem Bürger einen freien Zugang zu Unterlagen, Akten
und anderen Datenbeständen von Berliner Behörden. Ausnahmen gelten nur, wenn Betriebsgeheimnisse, Datenschutzrechte oder das Allgemeinwohl gefährdet sind. Berlin folgt damit
dem Land Brandenburg, wo es ein derartiges Akteneinsichtsrecht seit 1998 gibt.
Garstka: "Die Informationsfreiheit ist kein Gegensatz, sondern ergänzt die Datenschutzrechte
der Bürger. Ich hoffe, dass nun auch auf Bundesebene, wie im Koalitionsvertrag vereinbart,
bald ein Informationsfreiheitsgesetz vorgelegt wird und die Bundesrepublik sich in die demokratischen Traditionen der meisten westeuropäischen Staaten, Ungarns, der USA, Kanadas
und Japans einreiht, wo derartige Kontrollrechte der Bürger selbstverständlich sind." Garstka
schilderte erste Erfahrungen mit dem neuen Gesetz (3.1).
Die Videoüberwachung nimmt in allen Lebensbereichen zu. In Bussen, Bahnen, Kaufhäusern,
Banken, Tankstellen, Wohnanlagen, Parkhäusern und auf Kinderspielplätzen gibt es sie schon.
Für Schulen, Krankenhäuser und öffentliche Plätze wird sie gefordert. Videokameras werden
immer kleiner, immer billiger und sehen immer mehr technische Möglichkeiten vor. Auch sogenannte Webcams, die die Aufnahmen weltweit im Internet verbreiten, werden zunehmend eingesetzt. Trotz dieser besorgniserregenden Entwicklung fehlen - insbesondere für Privatunternehmen - gesetzliche Regelungen zum Videoeinsatz.
Garstka: "Eine flächendeckende Videoüberwachung öffentlicher Räume darf es nicht geben.
Der Gesetzgeber muss die Kriterien für den Videoeinsatz festlegen." (3.1)
Weitere Themen des Jahresberichtes 1999:
Die langen polizeilichen Speicherfristen wurden nicht wesentlich verkürzt. Stattdessen wurde
das Korrektiv der Unterrichtung der Betroffenen gestrichen (4.1.2 u. 4.1.2).
Die Schleierfahndung wurde eingeführt. Die Berliner Regelung geht noch über die Befugnisse
des BGS und der Polizeien anderer Länder hinaus. Während der BGS die Kontrollen in Zügen,
Bahnanlagen und Flughäfen und z.B. die bayerische Polizei auf das Grenzgebiet und Durchgangsstraßen zu begrenzen hat, darf die Berliner Polizei im gesamten Stadtgebiet jeden Bürger
befragen und Ausweise kontrollieren. Diese Befugnis ist ein weiterer höchst bedenklicher Schritt
zur Inanspruchnahme Unverdächtiger durch die Polizei (4.1.2).
Analyse-Dateien der Polizei sind ein völlig neuer Dateityp mit beispiellosem Datenumfang bis
tief in die Intimsphäre hinein. Diese Daten dürfen keinesfalls über Opfer und Vermisste bundesweit abrufbar sein (4.1.2).
Geldwäsche-Datei beim BKA: Jeder in Berlin von Geldinstituten gemeldete Fall führt ohne
weitere Prüfungen zu einer bundesweiten Speicherung (4.1.2).
Die Polizei verweigerte die nachträgliche Unterrichtung des Betroffenen über eine (konsequenzlose) polizeiliche Beobachtung (4.1.2).
Trotz Freispruches erfolgte nach Verfahrensende eine Speicherung als Tatverdächtiger bei der
Polizei. Die Staatsanwaltschaft teilte den Verfahrensausgang nicht mit. Die Polizei lehnt auch
bei der demnächst erfolgenden Rückmeldung der Verfahrensausgänge ab, in jedem Fall die
Datenspeicherungen zu überprüfen und ggf. zu löschen, zu berichtigen oder Speicherungsfristen zu verkürzen (4.1.2).
Das Meldegesetz ist dringend zu überarbeiten. Trotz der Aufforderung des Abgeordnetenhauses liegt noch immer kein Gesetzentwurf vor (4.2.2). Statt dessen sollen im Melderechtsrahmengesetz bedenkliche Überprüfungen, Rückmeldungen und (auf Initiative der Senatsverwaltung für Inneres) eine Lockerung der Auskunftssperre aufgenommen werden (4.2.2).
Ein gewalttätiger Ex-Ehemann erhielt die geheime neue Adresse seiner ehemaligen Ehefrau
bei der Meldestelle des früheren Wohnortes. Der Grund: Auskunftssperren für gefährdete
Personen werden nicht zurückgemeldet (4.2.2).
Die Meldestellen im Ostteil Berlins haben noch immer unzulässige DDR-Daten (4.2.2).
Einsichtnahme in Personenstandsbücher: Das Personenstandsgesetz behindert die Familienforschung. Aus Datenschutzsicht ist gegen eine Öffnung der Personenstandsbücher zu
diesem Zweck nichts einzuwenden (4.2.2).
Bonitätsüberprüfung der Gastgeber von Ausländern: Die Ausländerbehörde verursachte
vermeidbare Nachfragen und Überprüfungen der Gastgeber durch die Auslandsvertretungen
(4.2.3).
Ausschreibung zur Ausreiseverweigerung im Schengener Informationssystem: Die Übernahme des polizeilichen Fahndungsbestandes erfolgte ohne die erforderliche Prüfung im Einzelfall (4.2.3).
Der Entwurf des Strafverfahrensänderungsgesetzes ist in datenschutzrechtlicher Hinsicht
ein Rückschritt (4.3.1).
Die Berichterstattung über die zur Strafverfolgung angeordneten Großen Lauschangriffe gegenüber dem Abgeordnetenhaus ist gesetzlich abzusichern (4.3.1).
Löschungen der Daten Beschuldigter im Staatsanwaltschaftlichen Auskunftssystem erfolgen zu spät (4.3.1).
Angaben im Fahrtenbuch zum Nachweis privater Fahrten gegenüber dem Finanzamt: Zweck
und Ziel der Fahrt sind nicht anzugeben; Ärzte, Rechtsanwälte und andere Berufsgeheimnisträger brauchen nicht die Namen und Adressen ihrer Patienten oder Mandanten anzugeben (4.3.2).
Undifferenzierte Speicherungen von Tatverdächtigen bei der Steuerfahndung: Der Ausgang des Steuerstrafverfahrens wird nicht berücksichtigt (4.3.2).
Überwachung von Arbeitnehmern: Datenspuren können durch "Spitzel-Software" aufgespürt
und ausgewertet werden. Die Videoüberwachung in Kunden- und Kassenraum nimmt zu. Wo
sind die Grenzen? (4.4.1)
Gesundheitsreform 2000: Statt der ursprünglich geplanten enormen Vermehrung des Datenaustausches zwischen Ärzten und Krankenkassen hätte durch die Einführung eines Pseudo-
anonymisierungsverfahrens eine Verbesserung des Gesetzentwurfes erreicht werden können.
In der politischen Auseinandersetzung wurden jedoch die Regelungen zum Datenaustausch
und zur Pseudonomisierung sowie damit verbundene datenschutzrechtliche Verbesserungen
gestrichen (4.4.2).
Datenschutz für Hundehalter? Welche Ermittlungen dürfen bei der Zuverlässigkeitsüberprüfung erfolgen? Wie lange dürfen die Daten gespeichert werden? Die Hundeverordnung
trifft hierzu keine Aussagen (4.4.5).
Schulen ans Netz: Darf ein Lehrer an Schüler gerichtete E-Mails lesen? Dürfen im Internet-
Angebot die Namen der beteiligten Schüler veröffentlicht werden? (4.5.2)
Umstellung auf Namensaktien: Kommt der "gläserne Aktionär"? Wie gehen Berliner Unternehmen mit den Daten um? (4.6.1)
Eine Bank legte einem potentiellen Kunden einen viel zu umfangreichen Fragebogen für die
Eröffnung eines Girokontos vor (4.6.1).
Nachbarschaftsbefragungen durch Auskunfteien hinter dem Rücken der Betroffenen zur
Feststellung ihrer finanziellen Verhältnisse sind unzulässig (4.6.2).
Datenbeschaffung der Auskunfteien und Detekteien sind oft nicht nachvollziehbar, weil
keine Aufzeichnungspflicht für Datenquellen existiert (4.6.2).
Das 3-S-Konzept der Deutschen Bahn AG: Hinweise auf die Videoüberwachung in den
Bahnhöfen und Unterführungen sind zu verbessern (4.6.3).
"City Server": Die von einem Unternehmen erstellte Bilddatenbank mit Häusern in allen großen Städten ist ein erheblicher Eingriff in das Persönlichkeitsrecht der Eigentümer und Mieter.
Das künftige Bundesdatenschutzgesetz muss derartigen Vorhaben einen Riegel vorschieben
(4.6.4).
Das Abholen von zugestellten Bußgeldbescheiden in Lotto-Läden gehört der Vergangenheit an - allerdings nicht aus datenschutzrechtlichen Gründen (4.6.4).
Unternehmen dürfen personenbezogene Daten in die USA nur übermitteln, wenn die Beachtung des Datenschutzes und die Kontrolle vertraglich abgesichert werden (4.7).
Rundfunkgebühr: Zu viele Daten werden erhoben. Soll die GEZ besser abgeschafft werden?
Ein datenschutzgerechter Vorschlag liegt vor (5.3).