Die 59. Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder
hat am 14. und 15. März 2000 in Hannover getagt. "Die Datenschützer in Deutschland
sehen Gefahren für den Datenschutz vor allem in dem zunehmenden Einsatz von Videokameras
im öffentlichen Raum sowie in den zahlreichen Überwachungseingriffen in die freie
Telekommunikation", sagte Burckhard Nedden, der diesjährige Vorsitzende der
Konferenz der Datenschutzbeauftragten. Die technologische Entwicklung sei eine
"große Herausforderung aber auch eine Chance für den Datenschutz." Das
Internet führe mehr und mehr zum gläsernen Nutzer. Bei den Verbrauchern gebe es eine
hohe Sensibilität, um sich gegen den Missbrauch ihrer Daten im Internet zu schützen.
Im Schwerpunkt hat die Konferenz folgende Themen behandelt und Beschlüsse gefasst:
Die Datenschutzbeauftragten warnen vor zunehmender Videoüberwachung und lehnen
eine großflächige Überwachung ab. Sie halten es für dringend erforderlich, für den
Einsatz der Videotechnik enge Voraussetzungen gesetzlich festzulegen.
Die Datenschutzbeauftragten bieten ihre Beratungskompetenz für datenschutzfreundliche
Lösungen bei Präsenz und Interaktion im Internet für Wirtschaft und Verwaltung an
Weitere Themen und Beschlüsse
Risiken und Grenzen der Videoüberwachung
Videokameras werden immer häufiger für Zwecke der Überwachung vieler Lebensbereiche
eingesetzt. Ob auf Flughäfen, Bahnhöfen, in Ladenpassagen, Kaufhäusern oder
Schalterhallen von Banken oder anderen der Öffentlichkeit zugänglichen Einrichtungen,
überall muss man damit rechnen, auf Schritt und Tritt offen oder heimlich von einer
Videokamera aufgenommen zu werden. Von Seiten der CDU wird jetzt erneut eine
großflächige Videoüberwachung der Innenstädte zur Kriminalitätsbekämpfung gefordert
werde. Die Datenschutzbeauftragten haben Zweifel, ob hierdurch tatsächlich eine spürbare
Eindämmung von Straftaten erreicht und nicht nur eine Verlagerung an andere Stellen
bewirkt werde. Verlässliche und belastbare Erkenntnisse hierzu gebe es nicht. Im übrigen
werde viel zu wenig beachtet, dass mit der Videoüberwachung besondere Risiken für das
Recht auf informationelle Selbstbestimmung und auf unkontrollierte Bewegung im
öffentlichen Raum verbunden seien.
Die Datenschutzbeauftragten halten es für dringend erforderlich, rechtliche und
technische Anforderungen für die Videoüberwachung zu normieren. Ein flächendeckender
Einsatz von Videotechnik sei mit dem freiheitlichen Menschenbild des Grundgesetzes in
keinem Fall vereinbar.
Für eine freie Telekommunikation in einer freien Gesellschaft
Die Datenschutzbeauftragten warnen vor den zunehmenden Gefährdungen der freien
Telekommunikation. Ursachen seien neben den wesentlich größeren und erheblich
aussagekräftigeren Datenmengen bei der Telekommunikation, die gestiegenen
Auswertewünsche der Sicherheitsdienste und die unübersichtlichen, schwer durchschaubaren
und zersplitterten Regelungen in Strafprozessrecht, Telekommunikationsrecht und
Multimediarecht. Von diesem Gefährdungspotential seien immer größere Lebensbereiche der
Bürgerinnen und Bürger umfaßt. Die Zahlen der
Telekommunikations-Überwachungsanordnungen seien in den letzten Jahren kontinuierlich
angestiegen (1995: 3667, 1996: 6428, 1997: 7776, 1998: 9802). Immer
mehr Straftatbestände würden als Grund für eine Telekommunikationsüberwachung in §
100 a der Strafprozessordnung einbezogen, Erweiterungen seien im Gespräch. Die
Telekommunikationsanbieter seien verpflichtet, technische Einrichtungen zum Abruf ihrer
Kundendaten und zur Telekommunikationsüberwachung vorzuhalten. Diese Verpflichtung würde
auch auf Anbieter nicht gewerblicher Netze ausgedehnt und könne nach dem Gesetzeswortlaut
sogar Hotels, Betriebe, Behörden oder möglicherweise sogar Krankenhäuser betreffen.
Die Datenschutzbeauftragten fordern für die Informations- und
Kommunikationsgesellschaft die Sicherung der freien Telekommunikation als
Grundvoraussetzung einer freiheitlichen demokratischen Gesellschaft. Sie sei durch das
Grundrecht des Fernmeldegeheimnisses zu gewährleisten. Dieses Grundrecht erstrecke sich
nach dem BND-Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu den verdachtslosen Abhörmaßnahmen
auf jede Verwendung von Kommunikationsdaten bis hin zur Löschung, gleich welche
Kommunikationstechnik genutzt werde (Telefon, E-mail, Telefax, Internet). Diese erweiterte
Geltung des Fernmeldegeheimnisses sei deshalb auch für den Bereich der neuen Tele- und
Mediendienste ausdrücklich klarzustellen.
Data Warehouse, Data Mining und Datenschutz
Die Datenschutzbeauftragten zeigen auf, dass durch zunehmende Leistungsfähigkeit der
Informations- und Kommunikationstechnik riesige Datenmengen in Wirtschaft und Verwaltung
gesammelt seien. Das habe automatisierte Verfahren mit den viel versprechenden Namen
"Data Warehouse" und "Data Mining" entstehen lassen, die das
gesammelte Datenmaterial verwalten und ausforschen. Im "Data Warehouse" würden
alle verwendbaren Daten in einem einheitlichen Datenpool losgelöst von ihrer
ursprünglichen Verwendung zusammengeführt. "Data Mining" biete Werkzeuge, mit
denen scheinbar zusammenhanglose Daten nach noch nicht bekannten, wissenswerten
Zusammenhängen durchsucht und kombiniert werden könnten. Diese Entwicklung schaffe neben
Vorteilen für die Betreiber erhebliche Gefahren und Risiken für das Grundrecht der
Bürgerinnen und Bürger auf informationelle Selbstbestimmung und für den Schutz ihrer
Privatheit. Persönlichkeitsprofile, automatisierte Vorhersagen von Verhaltens- und
Handlungsweisen, Manipulationsmöglichkeiten und zu lange Speicherung seien befürchtete
Gefahren.
Im Datenschutzrecht gelte das Prinzip der Zweckbindung, eine Zweckänderung sei
grundsätzlich nur mit Einwilligung der betroffenen Personen möglich. Da das Konzept von
Data Warehousing darauf angelegt sei, möglichst neue Erkenntnisse zu gewinnen, sei es
aber fraglich, ob in eine solche unbestimmte Verwendung von Daten rechtsgültig
eingewilligt werden kann. Gestaltung und Auswahl solcher Systeme habe sich daher an dem
Ziel auszurichten, keine oder so wenig personenbezogene Daten wie möglich zu verarbeiten.
Anonyme Verfahren seien datenschutzrechtlich unbedenklich.
Klage der EU-Kommission wegen Nichtumsetzung der
EG-Datenschutz-Richtlinie
Die Datenschutzbeauftragten weisen darauf hin, dass die EU-Datenschutzrichtlinie aus
dem Jahr 1995 noch immer nicht umgesetzt worden sei. Die notwendige Novellierung des
Bundesdatenschutzgesetzes und zahlreicher Landesdatenschutzgesetze, für die eine Frist
von 3 Jahren bestanden habe, sei überfällig. Deshalb habe die EU-Kommission im
vergangenen Jahr bereits zwei "blaue Briefe" an die Bundesregierung verschickt
und bereite eine Klage beim Europäischen Gerichtshof vor. Wegen des Zeitdrucks sei eine
zukunftsgerichtete Neukonzeption kurzfristig nicht zu erwarten. Die
Datenschutzbeauftragten begrüßen aber die erklärte Absicht der Bundesregierung zur
baldigen Verabschiedung und zur "zweiten Stufe" der Novellierung, mit der die
gebotene Normenklarheit und Verständlichkeit sowie wegweisende Impulse für die
Fortentwicklung der Informationstechnik versprochen worden seien.
Verschlechterung des Datenschutzes im Entwurf des
Strafverfahrensänderungsgesetz
Die Datenschutzbeauftragten begrüßen es, dass die Strafprozessordnung endlich die
durch das Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts erforderlichen und seit fast
zwei Jahrzehnten überfälligen datenschutzrechtlichen Regelungen erhalten soll. Sie
kritisieren jedoch den vorgelegten Gesetzentwurf, der sich jetzt im Vermittlungsverfahren
befindet. Die Zweckbindung von Daten aus der Gefahrenabwehr und der Strafverfolgung würde
nahezu vollständig aufgehoben und die landespolizeirechtlichen Vorschriften unterlaufen.
Die Justizbehörden erhielten einen Datenpool unabhängig davon, ob die Informationen für
ihre konkreten Aufgaben wirklich erforderlich seien. Die Datenschutzbeauftragten sehen den
verfassungsrechtlich gebotenen Ausgleich zwischen Persönlichkeitsschutz und Interessen
der Strafverfolgungsbehörden nicht mehr als gewährleistet an, falls die Vorschläge
Eingang in die Strafprozessordnung finden sollten. Sie fordern den Gesetzgeber auf,
Regelungen zu treffen, die geeignet sind, eine effektive Strafverfolgung unter Beachtung
der Persönlichkeitsrechte der Betroffenen zu.