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Für eine freie Telekommunikation in einer freien Gesellschaft
(Entschließung der 59.Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder vom 14./15. März 2000)
Umfang und Intensität der Eingriffe in das von Art. 10 Grundgesetz geschützte
Fernmeldegeheimnis haben in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Ursächlich hierfür
sind zum einen folgende Aspekte:
- Erhebliche Zunahme der Telekommunikationsvorgänge
Die Zahl der Telekommunikationsvorgänge hat sich vervielfacht. Darüber hinaus
werden neben dem traditionellen Telefon neue Kommunikationsmöglichkeiten wie Fax und
PC-Fax, das Mobiltelefon, e-mail und mail-boxen sowie das Internet genutzt.
- Stark angestiegener Umfang und wesentlich verbesserte Aussagequalität der Daten
Die digitale Datenverarbeitung ermöglicht detaillierte Auswertungen großer
Datenmengen.
Die Datenverarbeitungsnetze bieten mehr und mehr aussagekräftige Bestandsdaten, wozu
auch e-mail-Adresse, IP-Nummer oder domain name gehören. So können sich bei
Mitgliedschaft in geschlossenen Netzen sogar Rückschlüsse auf Lebensanschauungen oder
bestimmte Problemlagen ergeben, z. B. bei der Mitgliedschaft in bestimmten
Interessengemeinschaften, etwa Aids-Selbsthilfegruppen.
Die Verbindungsdaten geben in der Regel Auskunft, wer wann mit wem wie lange und wie
häufig kommuniziert hat; werden fremde Geräte verwendet, geraten Unbeteiligte in
Verdacht.
Aus den Nutzungsdaten von Tele- und Mediendiensten lassen sich Rückschlüsse auf
Interessengebiete und damit auf persönliche Eigenheiten und das Verhalten der Nutzenden
ziehen.
Mobiltelefone ermöglichen schon im Stand-by-Modus die Bestimmung ihres Standorts.
- Erleichterte Kenntnisnahme und Weiterverarbeitung dieser Daten
Die wesentlich erweiterten und einfacher nutzbaren technischen Möglichkeiten
erlauben es, an verschiedenen Orten gespeicherte Daten zur Kenntnis zu nehmen und zu
verarbeiten.
- Entwicklung des Internets zum Massenkommunikationsmittel
Über das Netz werden immer mehr Alltagsgeschäfte abgewickelt: Wahrnehmung
verschiedenartiger Informationsangebote, Erledigung von Bankgeschäften, Buchung von
Reisen oder Bestellung von Waren und Dienstleistungen in virtuellen Kaufhäusern
(e-commerce). Dadurch fallen immer mehr auswertbare Informationen über Lebensgewohnheiten
und Bedürfnisse der Bürgerinnen und Bürger an.
- Schwer durchschaubare Rechtslage
Die Zersplitterung der Regelungen in Strafprozess-, Telekommunikations- und
Multimediarecht machen diese wenig transparent und schwer anwendbar.
Zum anderen ist dieser größere, leichter auswert- und verarbeitbare Datenpool
wachsenden Zugriffswünschen der Sicherheitsbehörden im weitesten Sinn auf nationaler und
internationaler Ebene ausgesetzt:
- Die Zahlen der Telekommunikations-Überwachungsanordnungen in den letzten Jahren sind
kontinuierlich angestiegen: 1995: 3667, 1996: 6428, 1997: 7776, 1998: 9802
- Immer mehr Straftatbestände wurden als Grund für eine Telekommunikationsüberwachung
in § 100 a der Strafprozessordnung (StPO) einbezogen der Katalog wurde seit
Einführung 11 mal erweitert und damit bis heute nahezu verdoppelt. Neue Erweiterungen
sind im Gespräch.
- Die Telekommunikationsanbieter werden verpflichtet, technische Einrichtungen zur
Umsetzung der Überwachungsanordnungen zu installieren und Kundendateien für Abfragen
durch die Sicherheitsbehörden vorzuhalten zur Feststellung, mit welchen Anbietern
verdächtige Personen einen Vertrag haben. Diese Verpflichtung wurde auch auf die Anbieter
nicht gewerblicher Netze ausgedehnt und kann nach dem Gesetzeswortlaut auch Hotels,
Betriebe, Behörden oder möglicherweise sogar Krankenhäuser betreffen.
- Ein europäischer Anforderungskatalog für Überwachungsmöglichkeiten unter dem Namen
"ENFOPOL", befasst sich u. a. mit der Frage, welchen Anforderungen die
Netzbetreiber bzw. Diensteanbieter genügen müssen, damit die auf der Grundlage
nationaler Ermächtigungsgrundlagen zulässige Telekommunikationsüberwachung technisch
durchführbar ist. Die G8-Staaten haben noch weitergehende Beschlüsse gefasst.
Forderungen zur Gewährleistung der freien Telekommunikation
Die Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder hat bereits 1996
ein Positionspapier erarbeitet. Vor diesem Hintergrund fordert die Konferenz:
- Freie Telekommunikation ist unabdingbar für eine freiheitliche demokratische
Kommunikationsgesellschaft. Sie wird durch das Fernmeldegeheimnis geschützt. Dieses
Grundrecht erstreckt sich nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu den
verdachtslosen Abhörmaßnahmen des BND (BVerfG, Urt. v. 14.7.1999, 1 BvR 2226/94 u. a.)
auf jede Verwendung von Kommunikationsdaten bis hin zur Löschung, gleich welche
Kommunikationstechnik genutzt wird. Die Geltung des Fernmeldegeheimnisses ist deshalb auch
für den Bereich der Tele- und Mediendienste ausdrücklich klarzustellen.
- Notwendig ist eine bürgerrechtsfreundliche technische Infrastruktur nach dem Grundsatz
der Datenvermeidung und dem Datensparsamkeitsprinzip. Dabei ist der Einsatz
datenschutzfreundlicher Technologien besonders zu fördern. Anonyme und pseu-donyme
Nutzungsmöglichkeiten müssen nach dem Vorbild des Teledienstedatenschutzgesetzes als
Pflichtangebote vorgehalten werden. Die Nutzung dieser Angebote darf nicht von der
Speicherung von Bestandsdaten abhängig gemacht werden. Eine Vorratshaltung von Daten
Unverdächtiger über den Betriebszweck hinaus zu Zwecken der Verfolgung eventueller, noch
gar nicht absehbarer zukünftiger Straftaten ist als Überwachung auf Vorrat abzulehnen.
- Notwendig ist deshalb ein zusammenfassendes, in sich schlüssiges System von Regelungen
staatlicher Eingriffe in das Kommunikationsverhalten, das dem besonderen Gewicht des
Grundrechts auf eine unbeobachtete Telekommunikation unter Beachtung der legitimen
staatlichen Sicherheitsinteressen Rechnung trägt.
- Als Grundlage hierfür ist eine Evaluierung der bestehenden Eingriffsregelungen nach
objektiven, nicht zielorientierten Maßstäben vorzunehmen hinsichtlich Effektivität auf
der einen und Eingriffsumfang auf der anderen Seite. Eine gesetzliche Berichtspflicht
über Anlass, Verlauf, Ergebnisse und Anzahl der Betroffenen ist auch für
Telekommunikationsüberwachungen einzuführen. Dass auch Unverdächtige von Abhör- und
Kontrollmaßnahmen betroffen sein können, ist dabei besonders zu berücksichtigen.
- Der aus der Frühzeit der analogen Fernsprechtechnik stammende § 12
Fernmeldeanlagengesetz, der die Herausgabe von Verbindungsdaten vergangener, nach
bestrittener Rechtsprechung sogar zukünftiger Telekommunikationsvorgänge ohne
Beschränkung auf schwerere Straftaten ermöglicht, muss wegen der erheblich höheren
Aussagefähigkeit der digitalen Verbindungsdaten und des damit verbundenen Eingriffs in
das Fernmeldegeheimnis zügig durch eine weniger weit reichende Regelung in der StPO
ersetzt werden.
- Die Anforderungen aus dem bereits zitierten Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur
Telekommunikationsüberwachung sind unverzüglich umzusetzen.
- Die Ausweitung der Mitwirkungspflichten bei Überwachungsmaßnahmen auf
Nebenstelenanlagen in Hotels, Krankenhäuser oder Betrieben wäre unverhältnismäßig. Es
muss deshalb verbindlich klargestellt werden, dass die Betreiber dieser
Nebenstellenanlagen nicht zur Bereitstellung entsprechender technischer Einrichtungen
verpflichtet werden. Das Eckpunktepapier des Bundesministeriums für Wirtschaft und
Technologie, das als Grundlage für einen Entwurf der
Telekommunikations-Überwachungverordnung dient und nach verschiedenen Gruppen von
Betreibern differenziert, ist dazu ein erster Schritt. Auch muss möglichst durch eine
Gesetzesänderung verhindert werden, dass die Verpflichtung, Kundendateien zu führen,
auch für die o. g. Nebenstellenanlagen gilt. Darüber hinaus dürfen Anbieter von
Guthabenkarten zur Mobiltelefonie nicht dazu verpflichtet werden, Identifikationsdaten
ihrer Kunden, die sie für betriebliche Zwecke nicht benötigen, ausschließlich für
Zwecke der Strafverfolgungsbehörden und der Nachrichtendienste zu erheben und zum Abruf
bereitzuhalten.
- Die Beachtung des Fernmeldegeheimnisses erfordert zwingend die Verschlüsselungvon
elektronischen Mitteilungen in offenen Netzen. Das Eckpunktepapier der Bundesregierung zur
deutschen Kryptopolitik, das eine Kryptoregulierung ablehnt, ist ein wichtiger Schritt in
die richtige Richtung. Gewerbliche Telekommunikationsdienstleister sollten gesetzlich
verpflichtet werden, die Möglichkeit der verschlüsselten Kommunikation kostenlos zu
unterstützen.
- Berufsgruppen, die besonderen Verschwiegenheitspflichten unterliegen, wie Ärztinnen und
Ärzte, Anwältinnen und Anwälte, Psychologinnen und Psychologen, bedürfen besonders im
Interesse ihrer Klientel eines umfassenden Schutzes ihrer Telekommunikation.
- Straftaten gegen den Schutz der Privatsphäre ist wirksamer entgegenzutreten. Notwendig
sind z. B. die Prüfung eines Verbots des freien Verkaufs von Abhörtechnik, eine
Verbesserung der Strafverfolgung im Bereich illegaler Abhörmaßnahmen und eine
Verschärfung des strafrechtlichen Schutzes des Fernmeldegeheimnisses.
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