BGH Urteil über Telefonwerbungs-Klausel in
Kontoeröffnungsformular
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
(XI ZR 76/98, verkündet am: 16. März 1999)
in dem Rechtsstreit
Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 15.
Dezember 1998 durch den Vorsitzenden Richter S. u.a.
für Recht erkannt:
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt
am Main vom 26. Februar 1998 wird zurückgewiesen.
Auf die Rechtsmittel des Klägers werden das genannte Urteil im Kostenpunkt und insoweit
aufgehoben, als die Berufung des Klägers zurückgewiesen worden ist, und das Urteil der 2.
Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main vom 10. Oktober 1996 abgeändert.
Der Beklagten wird die Verwendung der unter Ziffer 2 des Berufungsurteils auszugsweise zitierten
Klausel auch insoweit untersagt, als sie ein Einverständnis mit telefonischen Werbeanrufen
durch die Beklagte selbst betrifft.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Kläger ist ein rechtsfähiger Verein, der satzungsgemäß
Verbraucherinteressen wahrnimmt. Die beklagte Bank verwendet Kontoeröffnungsformulare, die
unter der Zeile für die Unterschrift des Kunden und einer durchgezogenen Linie - neben einer
Einwilligungserklärung für die Übermittlung von Kundendaten an Kooperationspartner
der beklagten Bank und für die Erhebung, Verarbeitung und Nutzung von persönlichen
Angaben - folgende Klausel enthalten:
"Telefonwerbung
Ich erkläre mich damit einverstanden, daß die C. AG oder eine von ihr beauftragte
Stelle mich telefonisch zum Zwecke der Beratung anspricht. Dieses Einverständnis umfaßt
über die bestehende Geschäftsverbindung hinaus die Werbung für Produkte der Bank und
ihrer Kooperationspartner. ... Dieses Einverständnis ist jederzeit widerrufbar. ..."
Mit der Klage hat der Kläger sämtliche formularmäßigen
Einverständniserklärungen, für die eine besondere Unterschrift des Kunden vorgesehen
ist, wegen Verstoßes gegen §§9, 11 Nr. 15b AGBG beanstandet.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat ihr im wesentlichen
stattgegeben. Nur soweit der Kläger die Einverständniserklärung zur Telefonwerbung
durch die beklagte Bank selbst beanstandet, ist die Berufung erfolglos geblieben.
Mit ihren zugelassenen Revisionen erstreben der Kläger die einschränkungslose
Untersagung einer formularmäßigen Einverständniserklärung zur Telefonwerbung,
die Beklagte die vollständige Abweisung der Klage, soweit sie sich auf die Telefonwerbeklausel
bezieht.
Entscheidungsgründe:
Die Revision des Klägers ist begründet, die der Beklagten bleibt dagegen
erfolglos.
I.
Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, daß es sich bei den beanstandeten
vorformulierten Erklärungen um Allgemeine Geschäftsbedingungen handelt: Die optische und
textliche Gestaltung der Klauseln ließen für antragstellende Bankkunden nicht
hinreichend erkennen, daß der die Einverständniserklärungen enthaltende Abschnitt
nicht Bestandteil des Kontoeröffnungsantrages und des zu schließenden Kontovertrages,
sondern eine davon unabhängige einseitige und freiwillige Erklärung des Kunden sei. Um
das mögliche Mißverständnis auszuschließen, daß nur mit
zusätzlicher Unterschrift unter diese Erklärung der Vertrag wirksam werde, hätte es
einer Trennung von den sonstigen die Kontoeröffnung betreffenden Erklärungen und eines
deutlichen Hinweises auf die Freiwilligkeit der zusätzlichen Erklärungen bedurft.
In der Telefonwerbeklausel hat das Berufungsgericht eine unangemessene Benachteiligung des
Kunden gesehen, soweit sie sich auf von der Beklagten beauftragte Dritte bezieht und auch eine
Werbung über die bestehende Geschäftsverbindung hinaus erlaubt. Insoweit hat es auf die
Gefahr ausufernder Telefonwerbung abgestellt. Das Einverständnis des Kunden mit einer auf die
Geschäftsverbindung beschränkten Werbung durch die Beklagte selbst hat es dagegen als
unbedenklich bewertet.
II.
Das hält zwar den Revisionsangriffen der Beklagten, nicht dagegen denen des Klägers
stand.
1. Das Berufungsgericht ist im Ergebnis zutreffend davon ausgegangen, daß die beanstandete
Klausel nach § 1 Abs. 1 AGBG als eine Allgemeine Geschäftsbedingung zu behandeln ist.
Zwar sind in § 1 Abs. 1 AGBG nur vorformulierte Vertragsbedingungen genannt, die von einem
Verwender bei Abschluß des Vertrages dem Kunden gestellt werden und als Kernbestandteile oder
Nebenabreden Inhalt dieses Vertrages werden sollen. Mit Rücksicht auf den Schutzzweck des
Gesetzes ist es jedoch geboten, auch die vom Verwender vorformulierten einseitigen
rechtsgeschäftlichen Erklärungen, die weder eine Nebenabrede enthalten noch zum
notwendigen Inhalt eines gleichzeitig abgeschlossenen Vertrages gehören, den Regelungen des
Gesetzes zu unterstellen, sofern sie nur im Zusammenhang mit einer vertraglichen Beziehung stehen,
ohne deren rechtlicher Bestandteil zu sein (vgl. MünchKomm/Kötz, 3. Aufl. AGBG § 1
Rdn. 4; Soergel/Stein, AGBG 12. Aufl. § 1 Rdn. 8; Ulmer/Brandner/Hensen, AGBG 8. Aufl. §
1 Rdn.16;Wolf/Horn/Lindacher, AGBG 3. Aufl. §1 Rdn. 6 und 7; vgl. auch BGHZ 95, 362, 363
f.).
So liegt der Fall hier. Die Beklagte läßt sich im Zusammenhang mit dem Abschluß
des Kontoeröffnungsvertrages das - einseitige - vorformulierte Einverständnis ihres
Kunden mit telefonischer Werbung durch sie selbst und ihre Kooperationspartner erklären.
Daß der Kunde diese Erklärung gesondert unterschreiben muß, berührt ihren
Charakter als Allgemeine Geschäftsbedingung nicht. Entscheidend ist, daß die Beklagte
bei der von ihrem Kunden abzugebenden Erklärung die rechtsgeschäftliche
Gestaltungsfreiheit für sich ebenso in Anspruch nimmt wie bei der Vorformulierung eines
Vertragstextes und der Kunde nur darauf, ob er die Erklärung abgeben will, nicht aber auf
ihren Inhalt Einfluß hat (vgl. dazu Ulmer/Brandner/Hensen aaO; Soergel/Stein aaO).
2. Die vom Kläger beanstandete Klausel über das Einverständnis mit der
Telefonwerbung enthält bei einer auch im Verbandsklageverfahren gebotenen generalisierenden
und die beiderseitigen Interessen abwägenden Betrachtung (vgl. BGHZ 65, 107, 111/112; 82, 238,
240/241) eine unangemessene Benachteiligung des Kunden im Sinne von § 9 AGBG.
Telefonwerbung stellt eine besonders schwerwiegende Beeinträchtigung der
verfassungsrechtlich geschützten Privatsphäre des Angerufenen dar. Sie ist ein grober
Mißbrauch des vom Inhaber im eigenen Interesse und auf eigene Kosten unterhaltenen
Telefonanschlusses zu Werbezwecken, erlaubt ein praktisch unkontrollierbares Eindringen in die
Lebensgewohnheiten der Zielperson und zwingt ihr zu einem ausschließlich durch den Werbenden
bestimmten Zeitpunkt in ihrer häuslichen Sphäre Anpreisungen von Waren und
Dienstleistungen auf. Die Anrufe werden im allgemeinen von in dieser Art der Werbung besonders
geschulten Personen vorgenommen, deren psychologisch geschickt eingesetzter Redegewandtheit sich
der aus seiner gegenwärtigen Tätigkeit Gerissene meist nur unter peinlicher Verletzung
der Regeln der Höflichkeit entziehen kann.
Erklärte man eine solche Form der Werbung ohne Einschränkungen für
rechtmäßig, wäre ihr Umsichgreifen innerhalb kurzer Zeit schon aus
Wettbewerbsgründen unvermeidlich und damit der Inhaber eines Telefonanschlusses nicht nur
vielfältigen Belästigungen ausgesetzt, sondern sein Anschluß für ins Gewicht
fallende Zeiträume für erwünschte Anrufe blockiert und damit in unzumutbarer Weise
seinem bestimmungsgemäßen Zweck entfremdet.
Wegen der massiven Beeinträchtigungen für die Zielpersonen und im Hinblick auf die
Nachahmungsgefahr hat der l. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs in ständiger Rechtsprechung
(vgl. BGHZ 54, 188, 190 ff.; 113, 282, 283 f.; BGH, Urteil vom 8. Juni 1989 - I ZR 178/87, NJW
1989, 2820; Urteil vom 16. Dezember 1993 - I ZR 285/91, NJW 1994, 1071, 1072; Urteil vom 8.
Dezember 1994 - I ZR 189/92, NJW-RR 1995, 613 f.) die Telefonwerbung im privaten Bereich sogar
grundsätzlich als mit den guten Sitten des Wettbewerbs unvereinbar angesehen und einen
Verstoß gegen § 1 UWG bejaht, wenn nicht der Angerufene zuvor ausdrücklich oder
konkludent sein Einverständnis mit einem solchen Anruf erklärt hat. Diese Beurteilung
stützt sich vor allem auf die Erwägung, daß der Schutz der Individualsphäre
vorrangig gegenüber dem wirtschaftlichen Gewinnstreben von Wettbewerbern ist und daß die
berechtigten Interessen der gewerblichen Wirtschaft, ihre Produkte werbemäßig
anzupreisen, es angesichts der Vielfalt der Werbemethoden nicht erfordern, mit Werbemaßnahmen
auch in den privaten Bereich des umworbenen Verbrauchers einzudringen.
Nach Auffassung des erkennenden Senats gelten diese Grundsätze nicht nur im Verhältnis
von Wettbewerbern untereinander, sondern erst recht für die Zulässigkeit der
Telefonwerbung gegenüber dem in seiner Privatsphäre zu schützenden Werbeadressaten
selbst. Das Erfordernis eines ausdrücklichen oder konkludenten Einverständnisses
schließt eine Herbeiführung der "Einverständniserklärung" durch Allgemeine
Geschäftsbedingungen aus. Jede andere Sicht der Dinge würde Wettbewerber zu einer
entsprechenden Angleichung ihrer Geschäftsbedingungen ermuntern und zu eben der massiven
Belästigung führen, der das Erfordernis des ausdrücklichen oder zumindest
konkludenten Einverständnisses entgegenwirken soll. Sie würde darüber hin aus dem
Schutzgedanken des §1 UWG widersprechen.
Daß die Kunden, deren Einverständnis die Beklagte herbeiführen will, mit ihr
eine dauernde Kontoverbindung eingehen, ändert an der Unangemessenheit der Klausel nichts. Die
Kontoverbindung rechtfertigt ein Eindringen in die Privatsphäre zu Werbezwecken nicht (vgl.
für den ähnlichen Fall eines bestehenden Versicherungsvertrages BGH, Urteil vom 8.
Dezember 1994 - I ZR 189/92, NJW-RR 1995, 613 f.). Ebenso wenig ist es von Bedeutung, daß die
Einverständniserklärung jederzeit widerruflich ist. Die Klausel soll den Verwender von
der Notwendigkeit befreien, das Einverständnis des Kunden durch Individualvereinbarung
herbeizuführen, und verlagert die Initiative zur Wiederherstellung der ungestörten
Privatsphäre auf den Betroffenen.
III.
Aus diesen Gründen war die Revision der Beklagten zurückzuweisen und auf die Revision
des Klägers der Klage in vollem Umfang stattzugeben.
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