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Endurteil im Verfahren über die
Verfassungsbeschwerde gegen Art. 1 Nr. 16 Buchst. c des Ersten Gesetzes zur
Änderung des Sicherheits- und Ordnungsgesetzes vom 9. Februar
1998
Landesverfassungsgericht
Mecklenburg-Vorpommern
Az.: LVerfG 2/98
Verkündet am: 21.10.1999
M., Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
IM NAMEN DES VOLKES
ENDURTEIL
In dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde
...
Prozeßbevollmächtigter: Beschwerdeführer
Rechtsanwalt Prof. Dr. L.,
g e g e n
Art. 1 Nr. 16 Buchst. c des Ersten Gesetzes zur Änderung des
Sicherheits- und Ordnungsgesetzes vom 09. Februar 1998 (GVOBl. M-V S. 126)
= § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 des Gesetzes über die
öffentliche Sicherheit und Ordnung in Mecklenburg-Vorpommern
(Sicherheits- und Ordnungsgesetz - SOG M-V) in der Fassung der
Bekanntmachung vom 25. März 1998 (GVOBl. M-V S. 335)
hat das Landesverfassungsgericht Mecklenburg-Vorpommern
durch
den Präsidenten Dr. H.,
den Vizepräsidenten W.,
den Richter H.,
die Richterin S.,
den Richter W.,
den Richter Prof. Dr. W. und
die Richterin Dr. U.
auf Grund der mündlichen Verhandlung vom
24. Juni 1999
für Recht erkannt:
I.
§ 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 des Gesetzes über die
öffentliche Sicherheit und Ordnung in Mecklenburg-Vorpommern
(Sicherheits- und Ordnungsgesetz - SOG M-V) in der Neufassung vom 25.
März 1998 (GVOBl. M-V S. 335), eingefügt durch Art. 1 Nr. 16
Buchst. c des Ersten Gesetzes zur Änderung des Sicherheits- und
Ordnungsgesetzes vom 09. Februar 1998 (GVOBl. M-V S. 126), ist mit Art, 6
Abs. 1 sowie mit Art. 5 Abs. 3 der Verfassung des Landes
Mecklenburg-Vorpommern in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 und
Art. 2 Abs. 2 Satz 2 und 3 des Grundgesetzes insoweit unvereinbar und
nichtig, als
1. die Identität einer Person auf Durchgangsstraßen
(Bundesautobahnen, Europastraßen und andere Straßen von
erheblicher Bedeutung für den grenzüberschreitenden Verkehr)
außerhalb des Grenzgebiets bis zu einer Tiefe von 30 Kilometern
festgestellt werden darf,
2. im Grenzgebiet bis zu einer Tiefe von 30 Kilometern, in
öffentlichen Einrichtungen des internationalen Verkehrs und im
Küstenmeer Maßnahmen getroffen werden dürfen, die
darüber hinausgehen, daß die betroffene Person angehalten wird
(§ 29 Abs. 3 Satz 1 SOG M-V) und von ihr verlangt wird, Angaben
zur Feststellung ihrer Identität zu machen und mitgeführte
Ausweispapiere zur Prüfung auszuhändigen (§ 29 Abs. 2
Satz 2 SOG M-V) .
II.
Im übrigen wird die Verfassungsbeschwerde zurückgewiesen.
III.
Die Entscheidung ergeht kostenfrei. Das Land Mecklenburg-Vorpommern hat
den Beschwerdeführern ihre notwendigen Auslagen zu erstatten.
Entscheidungsgründe:
A.
Mit ihrer Verfassungsbeschwerde wenden die Beschwerdeführer sich
dagegen, daß in Mecklenburg-Vorpommern der Polizei durch Gesetz die
Befugnis gegeben worden ist, unter bestimmten Voraussetzungen ereignis- und
verdachtsunabhängig die Identität von Personen festzustellen.
I.
1. Durch Art. 1 Nr. 16 Buchst. c des Ersten Gesetzes zur Änderung
des Sicherheits- und Ordnungsgesetzes vom 09.02.1998 (GVOBl. M-V, S. 126)
ist dem § 29 Abs. 1 Satz 2 des Gesetzes über die
öffentliche Sicherheit und Ordnung in Mecklenburg-Vorpommern
(Sicherheits- und Ordnungsgesetz - SOG M-V), nunmehr geltend in der
Neufassung vom 25.03.1998 (GVOBl. M-V S. 335), eine neue Nr. 5
angefügt worden. Diese Vorschrift ist Gegenstand des vorliegenden
Verfahrens. Seit der Gesetzesänderung lautet § 29 Abs. 1 SOG
M-V wie folgt:
Die Identität einer Person darf zur Abwehr einer im einzelnen Falle
bevorstehenden Gefahr festgestellt werden. Darüber hinaus dürfen
Polizeivollzugsbeamte die Identität einer Person feststellen,
1. wenn sie sich an einem Ort aufhält,
a) für den tatsächliche Anhaltspunkte bestehen, daß
aa) dort Personen Straftaten verabreden, vorbereiten oder
verüben,
bb) sich dort gesuchte Straftäter verbergen,
cc) sich dort Personen treffen, die gegen aufenthaltsrechtliche
Vorschriften verstoßen,
dd) dort Personen dem unerlaubten Glücksspiel nachgehen oder
b) an dem Personen der Prostitution nachgehen,
2. wenn sie sich in einer Verkehrs- oder Versorgungsanlage oder
-einrichtung, einem öffentlichen Verkehrsmittel, Amtsgebäude oder
in deren unmittelbarer Nähe aufhält und tatsächliche
Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, daß in oder an diesem Objekt
Straftaten begangen werden sollen, durch die Personen oder diese Objekte
gefährdet sind,
3. wenn sie sich in einem gefährdeten Objekt oder in dessen
unmittelbarer Nähe aufhält und die zuständige
Polizeibehörde für dieses Objekt besondere Schutzmaßnahmen
angeordnet hat,
4. an einer Kontrollstelle, die von der Polizei eingerichtet worden ist,
um folgende Straftaten zu verhüten, für deren Begehung
tatsächliche Anhaltspunkte bestehen:
a) die in § 129 a des Strafgesetzbuches genannten
Straftaten,
b) eine Straftat nach § 250 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 des
Strafgesetzbuches
c) eine Straftat nach § 255 des Strafgesetzbuches in der
Begehungsform nach § 250 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 des
Strafgesetzbuches oder
d) eine Straftat nach § 27 des Versammlungsgesetzes oder
5. zur Unterbindung des unerlaubten Aufenthalts und zur vorbeugenden
Bekämpfung von Straftaten der grenzüberschreitenden
Kriminalität im Grenzgebiet bis zu einer Tiefe von 30 Kilometern sowie
auf Durchgangsstraßen (Bundesautobahnen, Europastraßen und
andere Straßen von erheblicher Bedeutung für den
grenzüberschreitenden Verkehr), in öffentlichen Einrichtungen des
internationalen Verkehrs und im Küstenmeer.
In § 29 Abs. 2 bis 4 sowie in § 31 SOG M-V, die
durch das Änderungsgesetz nicht geändert worden sind, ist
geregelt, welche Einzelmaßnahmen für eine
Identitätsfeststellung ergriffen werden können. Danach ist es
unter bestimmten Voraussetzungen u. a. erlaubt, eine Person
festzuhalten oder zur Dienststelle zu verbringen (§ 29 Abs. 3
Satz 2 SOG M-V), die Person und von ihr mitgeführte Sachen zum Zwecke
der Identitätsfeststellung zu durchsuchen (Satz 3 aaO.) sowie
erkennungsdienstliche Maßnahmen anzuordnen und durchzuführen
(§ 31 SOG M-V).
Wie weit personenbezogene Daten einer Person, deren Identität
festgestellt worden ist, genutzt werden dürfen, richtet sich nach
§ 31 Abs. 3 und nach den §§ 36 ff. SOG M-V, die
durch das Änderungsgesetz teilweise geändert worden sind.
2. Der Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Sicherheits-
und Ordnungsgesetzes wurde am 07.04.1997 durch die Landesregierung
eingebracht (LT-Drs. 2/2468 vom 08.04.1997). in der ersten Lesung vom
23.04.1997 (PlenProt. 2/59, S. 3569 ff.) überwies der Landtag den
Gesetzentwurf an den Innenausschuß und zur Mitberatung an den
Rechtsausschuß. Die Ausschüsse veranstalteten in einer
gemeinsamen Sitzung am 29.10.1997 eine öffentliche Anhörung zu
dem Gesetzentwurf. Dort wurden vornehmlich, einschließlich
datenschutzrechtlicher Probleme, Fragen zu den ereignis- und
verdachtsunabhängigen Kontrollen sowie zu dem im Änderungsgesetz
ebenfalls erstmalig geregelten sogenannten "großen Lauschangriff"
erörtert. Der Innenausschuß legte seine Beschlußempfehlung
und seinen Bericht am 21.01.1998 (LT-Drs. 2/3478) vor. Anders als zum
großen Lauschangriff empfahl er zur ereignis- und
verdachtssunabhängigen Identitätsfeststellung die
unveränderte Annahme des Gesetzentwurfs. Der Landtag führte die
zweite Lesung und Schluß ab Stimmung am 28.01.1998 durch (PlenProt.
2/76, S. 4757 ff,). Das Gesetz wurde. In der Fassung der Empfehlungen des
Innenausschusses in namentlicher Abstimmung verabschiedet.
II.
Die Beschwerdeführer, fünf Bürger des Landes
Mecklenburg-Vorpommern, haben am 18.06.1998 Verfassungsbeschwerde erhoben.
Sie sehen sich durch § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SOG M-V in ihren
Grundrechten aus Art. 5 und 6 der Landesverfassung - im folgenden: LV -
verletzt. Dazu tragen sie vor:
Das Recht, seine persönlichen Daten außerhalb von Verdacht,
Gefahr und Nothilfe für sich zu behalten, gehöre zu dem durch
Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 Abs. 1 GG geschützten Privatbereich; dieses
Recht finde nach Art. 6 Abs. 1 Satz 2 LV seine Grenzen nur in den Rechten
Dritter und in überwiegenden Interessen der Allgemeinheit. Diese
Grenzen seien hier nicht eingehalten.
Dem Land fehle die Gesetzgebungsbefugnis für die angegriffene
Regelung. Denn es würden strafprozessual nutzbare Polizeibefugnisse
geschaffen. Für das Strafverfahren und den Grenzschutz habe der Bund
von seinen Gesetzgebungskompetenzen aus Art. 74 Nr. 1 und Art. 73 Nr. 5 GG
Gebrauch gemacht. Polizeikontrollen zu Zwecken der "Schleierfahndung"
dürfe es nicht geben. Sie stellten Maßnahmen zu einer Fahndung
dar, die nach der Strafprozeßordnung unzulässig sei.
Die Kontrollen richteten sich nicht gegen konkrete Gefährdungen von
Drittrechten oder überwiegenden Allgemeininteressen. Sie dienten
vielmehr der vorsorglichen Einschüchterung von jedermann. Eine
Gefährdungslage werde nur pauschal behauptet. Um latenten Gefahren zu
begegnen, genügten die sonstigen Kontrollmöglichkeiten des
§ 29 SOG M-V.
Nach dem Menschenbild des Grundgesetzes dürfe nicht jedermann als
potentieller Rechtsbrecher betrachtet werden. Ein vorgreifliches
Mißtrauen verletze unvermeidlich die psychische Integrität.
Nach § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SOG M-V stehe eine Reise
voraussetzungslos unter einem Kontrollvorbehalt der Exekutive. Es handele
sich um eine Blankettnorm, deren Anwendung an keine tatbestandlichen und
justiziablen Voraussetzungen gebunden sei. Prävention und Repression
würden zu einem Konglomerat von sogenannten Sicherheitsaufgaben
zusammengefaßt, um die verschiedenen Methoden unterschiedslos zu
nutzen.
Die Beschwerdeführer beantragen,
§ 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SOG M-V in der Fassung der Novelle
vom 09. Februar 1998 für nichtig zu erklären.
III.
Die Landesregierung hält die Verfassungsbeschwerde für
unbegründet:
Die Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1 GG und aus Art. 6 Abs. 1 LV seien
nicht schrankenlos. Dem weiten Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 GG als
Auffanggrundrecht korrespondierten weitreichende
Einschränkungsmöglichkeiten. Aus den Schranken des Art. 2 Abs. 1
GG resultierten diejenigen des Art. 6 Abs. 1 LV. Daher stünden diese
Grundrechte unter einem einfachen Gesetzesvorbehalt.
Die gesetzgeberische Absicht sei, durch Anwendung der Norm die Logistik
grenzüberschreitender Kriminalität auf den Transportwegen zu
zerstören und einschlägige Straftaten der organisierten
Kriminalität vorbeugend zu bekämpfen sowie den unerlaubten
Aufenthalt zu unterbinden. Die organisierte Kriminalität stelle ein
wesentliches Problem für die innere Sicherheit dar. Sie sei eine neue
Erscheinungsform kriminellen Handelns und gefährde in wachsendem
Maße die öffentliche Sicherheit. Bei Ermittlungsverfahren im
Bereich der organisierten Kriminalität trete die internationale
Verflechtung prägnant durch den überwiegenden Anteil
ausländischer Tatverdächtiger hervor. Mecklenburg-Vorpommern sei
in besonderer Weise durch die unterschiedlichsten Erscheinungsformen der
organisierten Kriminalität gefährdet. Die 1700 km lange
Ostseeküste, die 178 km lange Grenze zu Polen mit zwei stark
international frequentierten Grenzübergängen und die Weite des
Landes verschafften ihr vielfältige Einfallstore. Einen Schwerpunkt
bildeten dabei Straftaten im Zusammenhang mit dem Nachtleben,
Verschiebungen von Kraftfahrzeugen, banden- und gewerbsmäßige
Schleusung von Ausländern, Schutzgelderpressung sowie
Rauschgiftkriminalität.
Die der Polizei eingeräumte Befugnis zur vorbeugenden
Bekämpfung von Straftaten der grenzüberschreitenden
Kriminalität stelle ein geeignetes Mittel dar, um dieser
Kriminalität verstärkt entgegenzuwirken. Ferner sei die 0stgrenze
der Bundesrepublik der Brennpunkt der illegalen Einreise. Überdies
seien entlang der Ostsee unerlaubte Grenzübertritte fast überall
und nahezu problemlos möglich.
Ereignis- und verdachtsunabhängige Kontrollen seien zur Erreichung
der im Gesetz genannten Zwecke erforderlich. Das Gesetz habe bisher keine
Möglichkeit geboten, an den in § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SOG
M-V genannten begrenzten Orten, in denen verstärkt an organisierter
Kriminalität Beteiligte und illegal Einreisende aufgegriffen werden
könnten, effektiv Kontrollen durchführen zu können.
Abgesehen davon, daß die Identitätsfeststellung ohnehin einen
nur verhältnismäßig geringen Eingriff in
Persönlichkeitsrechte darstelle, gebe es kein weniger einschneidendes
Instrumentarium, das einen vergleichbaren Erfolg herbeiführen
könnte. Ohnedies sei dem Gesetzgeber eine weitgehende
Einschätzungsprärogative zuzugestehen. Es genüge die
ernsthafte und begründete Erwartung eines Erfolges. Im übrigen
könne auf beachtliche Erfolge in Bayern aufgrund einer entsprechenden
gesetzlichen Regelung verwiesen werden.
Für die Frage, ob die Regelung verhältnismäßig im
engeren Sinne sei, sei das durch das Grundrecht geschützte Rechtsgut
dem Interesse des Staates an der Einschränkung dieses Grundrechts
gegenüber zu stellen. Das durch Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistete
allgemeine Persönlichkeitsrecht erfasse insbesondere die engere
persönliche Lebenssphäre. Dabei markiere Art. 1 Abs. 1 GG dessen
uneinschränkbaren Kern. Die Achtung des Menschen als selbstbestimmtes
Wesen gehe aber entgegen der Ansicht der Beschwerdeführer nicht mit
einer generellen Redlichkeitsvermutung für jedermann einher. Kontrolle
verletze nicht schon für sich unvermeidlich die psychische
Integrität. Soweit eine Maßnahme nach § 29 Abs. 1 Satz
2 Nr. 5 SOG M-V sich lediglich auf ein kurzes Anhalten und eine
Gesichtskontrolle beschränke, werde lediglich die allgemeine
Handlungsfreiheit berührt. Soweit jedoch im Rahmen der Vorschrift
Maßnahmen zur Feststellung der Identität getroffen würden,
sei unzweifelhaft das Recht auf informationelle Selbstbestimmung betroffen.
Hier reiche für die Einschränkung nicht irgendein Interesse,
sondern es müsse ein in der Abwägung überwiegendes
Allgemeininteresse vorliegen. Auch eine dem Anhalten nachfolgende
Identitätsfeststellung sei eine verhältnismäßig
geringe Beschränkung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Zwar
könne es bis hin zu erkennungsdienstlichen Maßnahmen kommen; zu
berücksichtigen sei jedoch, daß die Maßnahmen nur
abgestuft durchgeführt werden dürften, wie in den
§§ 15 und 25 SOG M-V vorgeschrieben. In der Regel verbleibe
es bei der Einsicht in Ausweispapiere. Die Befugnis zu ereignis- und
verdachtsunabhängigen Kontrollen sei insoweit deutlich
eingeschränkt, als sie an bestimmte Örtlichkeiten und an eine
qualifizierte Zielsetzung gebunden seien. Diese Tatbestandsmerkmale
verdeutlichten den begrenzten Charakter des Eingriffs. Ferner komme darin
klar zum Ausdruck, daß § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SOG M-V
eine abstrakte Gefährdung für die öffentliche Sicherheit
durch organisierte Kriminalität und illegalen Aufenthalt von
Ausländern unmittelbar voraussetze. Nicht vorzuliegen brauche allein
eine konkrete Gefährdung.
Damit werde die im Polizeirecht überkommene Störerdogmatik
nicht in unzulässiger Weise durchbrochen. Denn die
Identitätskontrolle knüpfe an eine Handlung des Betroffenen,
nämlich seinen Aufenthalt an bestimmten Orten, an. Polizeiliche
Tätigkeit sei nicht auf die Abwehr konkreter Gefahren beschränkt.
Vergleichbar wie bei der streitigen Regelung verhalte es sich bei
§ 36 Abs. 5 StVO. Insgesamt habe der Gesetzgeber mit den
eingrenzenden Tatbestandsmerkmalen das überwiegende Allgemeininteresse
in einer Weise verdeutlicht, wie es in dieser Klarheit nicht immer bei
grundrechtseinschränkenden Gesetzen der Fall sei. Es sei auch zu
berücksichtigen, daß die Sicherheit des Staates als
verfaßte Friedens- und Ordnungsmacht sowie die von ihm zu
gewährleistende Sicherheit der Bevölkerung Verfassungswerte
darstellten, die mit anderen im gleichen Rang stünden. Dabei habe die
Polizei eine bedeutsame Schutzfunktion. Es sei unerläßlich,
daß sie als Widerpart der organisierten Kriminalität ebenfalls
über rechtliche Instrumentarien verfüge, die jedenfalls teilweise
der Langfristigkeit und Weiträumigkeit der gegnerischen Strategien
entsprächen. Der durch präventive Bekämpfung schwerer
Gefährdungslagen zu erwartende Sicherheitsgewinn überrage
deutlich den gering verbleibenden Eingriff in das
Persönlichkeitsrecht, zumal bei ergebnisloser Personenkontrolle die
Daten ohnedies unverzüglich zu löschen seien.
§ 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SOG M-V genüge auch dem
rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgebot. Mit dem Begriff
"Durchgangsstraßen" werde an einen objektiven, nachprüfbaren
Tatbestand angeknüpft. Die Polizei müsse auf einen Wechsel von
Verkehrsströmen flexibel reagieren können.
Für die Regelung habe das Land die Gesetzgebungskompetenz. In die
Gesetzgebungskompetenz des Landes falle der Schutz seiner Grenzen; soweit
diese zugleich Bundesgrenzen darstellten, könne das Land parallel zum
Bund tätig werden. Jedenfalls reiche die Gesetzgebungskompetenz des
Bundes aus Art. 73 Nr. 5 GG nur soweit, wie die Bundesgrenze
überschreitender Verkehr zu kontrollieren und die Bundesgrenze als
solche zu sichern sei. Da § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SOG M-V auf
die Verhütung und Unterbindung von Straftaten abziele, mithin
präventiven Charakter habe, bestehe auch keine Kollision mit Art. 74
Abs. 1 Nr. 1 GG. Vor dem in das gerichtliche Verfahren fallenden
strafprozessualen Ermittlungsverfahren müßten allgemeine
Präventivmaßnahmen zur Verhütung von Straftaten strikt
getrennt werden. Dies gebiete schon die nach der föderativen
Staatsverfassung des Grundgesetzes gebotene restriktive Auslegung von
Bundeskompetenzen.
IV.
Die Landesregierung hat ihr gestellte Fragen des
Landesverfassungsgerichts zur Auslegung und praktischen Anwendung des
§ 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SOG M-V beantwortet. Die
Beschwerdeführer haben sich dazu geäußert.
V.
Im Rahmen der mündlichen Verhandlung hat das
Landesverfassungsgericht sich zur praktische Anwendung des Gesetzes
berichten lassen und die Datenschutzbeauftragten von Mecklenburg-Vorpommern
und von Schleswig-Holstein als Sachverständige gehört.
VI.
Das Landesverfassungsgericht hat Gelegenheit gegeben, zu den nach seiner
mündlichen Verhandlung ergangenen Urteilen des Verfassungsgerichts des
Landes Brandenburg vom 30.06.1999 (- VfGBbg 3/98 -) und des
Bundesverfassungsgerichts vom 14.07.1995 (- 1 BvR 2226/94 u. a. -,
EuGRZ 1999, 389) Stellung zu nehmen.
VII.
Der Landtag hat sich im Verfahren nicht geäußert.
B.
Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig. Das hat das
Landesverfassungsgericht durch Zwischenurteil vom 06.05.1999 (VwRR MO 1999,
265 = SächsVBl. 1999, 248 = NVwZ-RR 1999, 617) entschieden.
C.
Die Verfassungsbeschwerde ist im wesentlichen begründet.
§ 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SOG M-V verstößt in dem
Umfang, der im Tenor bezeichnet ist, gegen die Landesverfassung. Es
begegnet durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken, daß die
Vollzugspolizei zur Unterbindung des unerlaubten Aufenthalts und zur
vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten der grenzüberschreitenden
Kriminalität auf Durchgangsstraßen Identitätsfeststellungen
durchführen darf, ohne daß der Gesetzgeber selbst nähere
Bestimmungen zur Eingriffsschwelle getroffen hat. Solcher näheren
Bestimmungen bedarf es dagegen nicht für das in der Norm bezeichnete
Grenzgebiet, für öffentliche Einrichtungen des internationalen
Verkehrs und für das Küstenmeer. Hinsichtlich aller
Örtlichkeiten hätten im Gesetz überdies Voraussetzungen
bestimmt werden müssen, unter denen Einzelmaßnahmen zur
Identitätsfeststellung ergriffen werden dürfen, die über die
in § 29 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 SOG M-V getroffenen
Regelungen hinausgehen. Ferner ist es von Verfassungs wegen für den
gesamten Anwendungsbereich des § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SOG M-V
geboten, diesem besonderen Bereich polizeilicher Tätigkeit gerecht
werdende spezifische Vorschriften über die Verarbeitung und Nutzung
erhobener Daten zu schaffen.
I.
1. Prüfungsgegenstand des Verfassungsbeschwerdeverfahrens ist
§ 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SOG M-V in seinem vollen Umfang.
Das entspricht dem in der mündlichen Verhandlung von den
Beschwerdeführern gestellten Antrag. Wenn die Beschwerdeführer in
der Beschwerdeschrift den Antrag dahin formuliert hatten, "die Bestimmung
für nichtig zu erklären, soweit sich die Kontrollbefugnis auf
jedermann ohne Anhaltspunkte für eine Gefahr oder einen Verdacht
erstreckt", so bedeutete dies keine Einschränkung, sondern eine
Herausstellung des Aspektes, unter dem die Beschwerdeführer vorrangig
die Verfassungswidrigkeit annehmen.
Ebenso hat das Landesverfassungsgericht in seinem Zwischenurteil vom
06.05.1999 für die Zulässigkeit nicht zwischen den einzelnen
Regelungsgehalten der Vorschrift differenziert. Die Zwecke der
Identitätsfeststellung - zum einen Unterbindung des unerlaubten
Aufenthalts, zum anderen vorbeugende Bekämpfung von Straftaten der
grenzüberschreitenden Kriminalität - sind in der polizeilichen
Praxis vielfach nicht voneinander abgrenzbar, sondern sie
überschneiden sich und können kumulativ verfolgt werden. Mit
Identitätsfeststellungen muß der Einzelne, ohne daß nach
den Voraussetzungen differenziert wäre, an allen in der Vorschrift
bezeichneten Örtlichkeiten rechnen.
2. Die gegen § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SOG M-V gerichtete
Verfassungsbeschwerde betrifft nicht nur die Norm selbst in ihrem vollen
Regelungsgehalt, sondern auch andere Normen, deren Anwendung zur
Ausübung der neuen Eingriffsbefugnis geboten ist. Jene Normen sind
notwendiger Bestandteil der getroffenen gesetzlichen Regelung. Dies gilt
zunächst für § 29 Abs. 2 bis 4 sowie für
§ 31 SOG M-V. Aus diesen Bestimmungen erschließt sich erst,
welche Maßnahmen zur Feststellung der Identität im
Anwendungsbereich der neuen Eingriffsbefugnis im Einzelnen getroffen werden
dürfen. Dadurch, daß jene Vorschriften in ein anderes
gesetzliches Umfeld eingebettet worden sind, können von ihrer
Anwendung neue belastende Wirkungen ausgehen (vgl. BVerfG, Urteil vom
14.07.1999 - 1 BvR 2226/94 u. a. -, S. 60 f. = EuGRZ 1999, 389,
401).
Die in den Fällen von § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SOG M-V
ferner anwendbaren Vorschriften der §§ 36 ff. SOG M-V
über die Verarbeitung und Nutzung personenbezogener Daten gehören
ebenfalls in den Regelungsbereich der neuen Norm hinein. Denn die
Feststellung der Identität ist kein Zweck für sich, sondern durch
sie sollen Daten für die Arbeit der Polizei und gegebenenfalls auch
anderer Stellen erlangt werden. Hier ist gleichermaßen der Weg zur
Überprüfung durch das Landesverfassungsgericht insoweit
eröffnet, als es um die Relevanz der Vorschriften in dem erweiterten
Anwendungsfeld der Identitätsfeststellung geht.
II.
Mit ihren Einwendungen, die Regelung des § 29 Abs. 1 Satz 2
Nr. 5 SOG M-V liege nicht in der Kompetenz des Landesgesetzgebers und sie
sei ferner mit dem Schengener Durchführungsübereinkommen nicht
vereinbar, dringen die Beschwerdeführer nicht durch.
1. Den Prüfungsmaßstab für das Landesverfassungsgericht
bilden im Verfahren der Verfassungsbeschwerde gegen ein Landesgesetz nach
Art. 53 Nr. 7 LV und § 11 Abs. 1 Nr. 8 LVerfGG die Grundrechte
und staatsbürgerlichen Rechte der Landesverfassung. Damit scheiden
Normen aus anderen Rechtskreisen, insbesondere denen des Bundes und der
Europäischen Union, als unmittelbarer Prüfungsmaßstab
aus.
In diesem Rahmen hat das Landesverfassungsgericht allerdings auch der
Frage nachzugehen, ob die den Gegenstand der Verfassungsbeschwerde bildende
gesetzliche Vorschrift durch die Gesetzgebungskompetenz des Landes gedeckt
ist (vgl. BayVerfGHE 29, 191, 201 f.; Pestalozza,
Verfassungsprozeßrecht, 3. Auflage 1991, § 13 Rdn. 24, S.
212). Denn die Kompetenzvorschriften des Grundgesetzes treffen die
maßgeblichen Regelungen über die grundlegende Abgrenzung der
Verfassungsräume von Bund und Ländern mit Verbindlichkeit
für den Gesamtstaat. Wenn eine Norm nur in einem anderen
Verfassungsraum, nicht aber in demjenigen des Landes erlassen werden
dürfte, steht sie von vornherein außerhalb jeglicher
Zuständigkeit des Landesgesetzgebers.
Nicht zu entscheiden braucht das Landesverfassungsgericht, ob es die
Nichtigkeit einer landesrechtlichen Norm auch bei einem Verstoß gegen
die bundesstaatliche Kompetenzordnung selbst feststellen könnte (so
VerfG NW, DÖV 1992, 968, 969 f.; Burmeister in: Starck/Stern (Hrsg.),
Landesverfassungsgerichtsbarkeit Band II, 1983, S. 399, 462 ff.;
Friesenhahn in: Bundesverfassungsgericht und Grundgesetz - Festgabe aus
Anlaß des 25jährigen Bestehens des Bundesverfassungsgerichts,
1976, S. 748, 758) oder ob es insoweit einer Vorlage an das
Bundesverfassungsgericht nach Art. 100 Abs. 1 GG bedürfte (hierzu -
allgemein - BVerfGE 69, 112, 118; s.a. HmbVerfG, DÖV 1999, 296, 297;
ThürVerfGH, MVwZ-RR 1999, 282, 284; Rühmann in: Umbach/Clemens
(Hrsg.), BVerfGG, 1992, § 85 Rn. 73). Denn die in § 29
Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SOG M-V getroffene Regelung ist unter
kompetenzrechtlichen Aspekten im Ergebnis nicht zu beanstanden.
2. Die genannte Regelung fällt weder unter die Materie des
§ 74 Abs. 1 Nr. 1 GG (a) noch unter diejenige des Art. 73 Nr. 5
GG (b).
a) Die Regelung ist nicht deshalb ausgeschlossen, weil sie dem
gerichtlichen Verfahren im Sinne von Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG, für das
der Bund von seiner Zuständigkeit zur konkurrierenden Gesetzgebung
Gebrauch gemacht hat, zuzurechnen wäre.
Der Tatbestand des "gerichtlichen Verfahrens" wird in der Rechtsprechung
(BVerfGE 30, 1, 29) und Literatur (Degenhart, in Sachs, GG, Art. 74 Rn. 21;
Maunz in Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 74 Rn. 82) weit
verstanden: Erfaßt werden die polizeilichen Aktivitäten, die
ausgelöst werden, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für den
Verdacht bestehen, daß bestimmte strafbare Handlungen geplant oder
begangen werden oder begangen worden sind. Die konkurrierende Gesetzgebung
erfaßt die repressive Polizeitätigkeit, also diejenige, welche
in Reaktion auf den Verdacht der Beteiligung einer Person an einer
geschehenen oder unmittelbar bevorstehenden strafbaren Handlung vorgenommen
wird.
Im übrigen verbleibt es gemäß Art. 70 GG bei der
grundsätzlichen Gesetzgebungskompetenz der Länder, soweit
polizeiliche Maßnahmen gesetzlich geregelt werden, die nicht den
Zweck haben, ein konkretes strafgerichtliches Verfahren in Gang zu setzen
oder sonst wie zu unterstützen. Bei diesen polizeilichen
Aktivitäten handelt es sich um allgemeine
Präventivmaßnahmen zur Verhinderung von Straftaten, denen der
für eine Bundesgesetzgebungskompetenz erforderliche Bezug zu einem
gerichtlichen Verfahren fehlt.
Die in § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SOG M-V der Polizei
eingeräumte Befugnis zur Identitätsfeststellung beruht ihrerseits
auf der Aufgabenzuweisung in § 7 Abs. 1 Nr. 4 SOG. Danach hat die
Polizei die Aufgabe, Straftaten zu verhüten und für die
Verfolgung künftiger Straftaten vorzusorgen (vorbeugende
Bekämpfung von Straftaten), wobei der Klammerzusatz durch Art. 1 Nr. 7
Buchstabe a des Ersten Gesetzes des Sicherheits- und Ordnungsgesetzes
eingefügt worden ist. Diese polizeiliche Aufgabenzuweisung liegt,
weder in der Variante der Verhütung von Straftaten noch in der
Variante der vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten (insoweit a. A.
z. B. Siebrecht, JZ 1996, 711, 714: Strafverfolgungsvorschrift)
außerhalb der Gesetzgebungszuständigkeit des Landes. Der Polizei
werden Aufgaben im Vorfeld der repressiven Tätigkeit zugewiesen, die
keinen Bezug zu einer konkreten Straftat haben. Die Vollzugspolizei soll
entweder Straftaten von vornherein verhüten oder eine künftige
mit der konkreten polizeilichen Aktion noch nicht verbundene
Strafverfolgung erleichtern.
Unerlaubter Aufenthalt von Ausländern ist jeweils eine andauernde
Störung der öffentlichen Sicherheit. Für Regelungen zu dem
Zweck, solchen Aufenthalt zu unterbinden, haben die Länder die
Gesetzgebungskompetenz.
b) Die Regelung des § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SOG M-V greift
nicht in den Bereich des Grenzschutzes hinein, für den nach Art. 73
Nr. 5 GG der Bund die ausschließliche Gesetzgebungszuständigkeit
besitzt. Diese Materie umfaßt den Schutz des deutschen
Hoheitsgebietes vor dem Eindringen von Personen und Sachen aus dem Ausland
über die Grenze außerhalb einer militärischen Sicherung der
Grenze.
Diesem Zweck dient § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SOG ersichtlich
nicht. Die Norm betrifft gegenständlich die Bekämpfung von
Gefahren, die durch den Aufenthalt von bestimmten Personen im Landesgebiet
hervorgerufen werden oder deswegen bevorstehen können. Diesem Zweck
dient auch die Befugnis zur Identitätsfeststellung innerhalb des
Grenzgebiets bis zu einer Tiefe von 30 km: Bekämpft werden soll nicht
die Verletzung der Grenze durch illegalen Übertritt, sondern die
Gefahren, die von Personen ausgehen können, die unter Ausnutzung der
Grenz Situation die öffentliche Sicherheit und Ordnung stören
(wollen) (vgl. dazu Waechter, DOV 1999, 138, 140; a. A. Bizer, Die Zweite
Novelle zum Sächsischen Polizeigesetz, 1999, S. 34 ff.). Die
streitbefangene Regelung des mecklenburg-vorpommerschen Polizeirechts
erfaßt daher erst Tatbestände vor und nach der
Überschreitung der Grenze, unabhängig davon, ob die Grenze legal
oder illegal überschritten worden ist.
Der Gesetzgebungsbefugnis des Landes steht nicht entgegen, daß
für gleiche Sachverhalte Befugnisse des Bundesgrenzschutzes und der
Polizeien der Länder nebeneinander stehen. Regelungen, die den
Bundesgrenzschutz zu Maßnahmen auch diesseits der Grenzen
ermächtigen, verdrängen nicht die Landeskompetenz für das
allgemeine Recht der öffentlichen Sicherheit und Ordnung. Vielmehr
bedarf es umgekehrt einer besonderen Legitimation, daß der
Bundesgesetzgeber dem Bundesgrenzschutz Aufgaben und Befugnisse auch im
Landesinneren gibt. Denn der Bundesgrenzschutz als Bundespolizei ist ein
Ausnahmefall (BVerfGE 97, 198, 217 = NVwZ 1998, 495, 497).
Die Gesetzgebungskompetenz des Landes für die in § 29
Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SOG M-V getroffene Regelung ist vor diesem Hintergrund
auch nicht deshalb fraglich, weil sie damit gerechtfertigt wird, daß
nach dem Wegfall von Kontrollen an den Binnengrenzen der Vertrags Staaten
des Schengener Durchführungsübereinkommens zur Aufrechterhaltung
der öffentlichen Sicherheit Ausgleichsmaßnahmen geboten seien.
Wenn Grenzkontrollen fortgefallen sind, kann Gefahren, die im Zusammenhang
mit Grenzübertritten stehen, gerade nicht mehr (in erster Linie) vor
Ort an den Grenzen begegnet werden. Maßnahmen, die durch den Wegfall
von Schutz an den Grenzen veranlaßt sind, können nicht zu
Grenzschutz mit der Folge erklärt werden, daß eine
Zuständigkeit der Länder entfallen würde.
3. Für die Prüfung der Frage, ob § 29 Abs. 1 Satz 2
Nr. 5 SOG M-V mit dem Übereinkommen vom 19.06.1990 zur
Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14.06.1985
zwischen den Regierungen der Staaten der Benelux-Wirtschaftsunion, der
Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik betreffend
den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen (BGBl. II
1993, S. 1013) übereinstimmt, hat das Landesverfassungsgericht keinen
Anlaß. Das Schengener Durchführungsübereinkommen regelt die
mit der Reise über Außen- und Binnengrenzen verbundenen
Probleme. Es hat den Vertragsstaaten keine Zuständigkeiten aus dem
Bereich des allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsrechts entzogen, wie
insbesondere sein Art. 2 Abs. 3 zeigt. Nach dieser Bestimmung bleiben die
Anwendung von Art. 22 und die Ausübung der Polizeibefugnisse durch die
nach Maßgabe des nationalen Rechts zuständigen Behörden
einer Vertragspartei in ihrem gesamten Hoheitsgebiet sowie die in ihrem
Recht vorgesehenen Verpflichtungen über den Besitz, das Mitführen
und das Vorzeigen von Urkunden und Bescheinigungen von der Abschaffung der
Personenkontrollen an den Binnengrenzen unberührt.
III.
1. Die Feststellung der Identität im Sinne von § 29 Abs.
1 SOG M-V ist die offene Erhebung der Personalien beim Betroffenen selbst;
sie ist dadurch gekennzeichnet, daß die Polizei befugt ist, den
Einzelnen zur Offenbarung eigener personenbezogener Daten zu zwingen
(Rachor in Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 2. Aufl. 1996 [im
folgenden: Handbuch], F Rn. 195 f.). Die Datenerhebung geschieht nicht um
ihrer selbst willen/sondern sie gewinnt ihre Bedeutung jeweils aus dem
engen sachlichen Zusammenhang mit anderen polizeilichen Tätigkeiten
(Rachor aa0., Rn. 191). Die Identitätsfeststellung ist - wie die
Befragung nach § 28 SOG M-V - eine offene Maßnahme zur
Erlangung von Informationen über einen Sachverhalt, dessen Kenntnis
für die Erfüllung einer polizeilichen Aufgabe relevant ist.
2. Maßstab für die verfassungsrechtliche Prüfung ist
danach vornehmlich das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung.
Dieses Grundrecht ist alleine betroffen, soweit es um die Verwendung der
gewonnenen Daten geht. Für alle Einzelmaßnahmen zur
Identitätsfeststellung ist es die verbindende Klammer. Dabei kommen
andere - jeweils durch Art. 5 Abs. 3 LV in das Verfassungsrecht des Landes
Mecklenburg-Vorpommern inkorporierte - Grundrechte hinzu:
Das Anhalten (§ 29 Abs. 3 Satz 1 SOG M-V), das Verlangen,
Angaben zur Identität zu machen und Ausweispapiere auszuhändigen
(Abs. 2 Satz 2 aa0.), die Durchsuchung der Person und ihrer Sachen (Abs. 3
Satz 3 aa0.) sowie die Anordnung und Durchführung
erkennungsdienstlicher Maßnahmen (§ 31 Abs. 1 und 2 SOG
M-V) greifen je für sich in die durch Art. 2 Abs. 1 GG
gewährleistete freie Entfaltung der Persönlichkeit ein. Das
Festhalten einer Person und ihr Verbringen zu einer Dienststelle
(§ 29 Abs. 3 und 4 SOG M-V) sind als Freiheitsentziehung an Art.
2 Abs. 2 Satz 2 und 3 sowie Art. 104 GG zu messen.
3. Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung ist für
Mecklenburg-Vorpommern in Art. 6 Abs. 1 LV normiert. Die Vorschrift
läutet:
Jeder hat das Recht auf Schutz seiner personenbezogenen Daten. Dieses
Recht findet seine Grenzen in den Rechten Dritter und in den
überwiegenden Interessen der Allgemeinheit.
Nach Art. 6 Abs. 4 LV regelt das Nähere das Gesetz.
Mit Art. 6 Abs. 1 LV ist für Mecklenburg-Vorpommern das Recht auf
informationelle Selbstbestimmung, so wie es das Bundesverfassungsgericht in
seinem Volkszählungsurteil vom 15.12 .1983 (BVerfGE 65, 1) aus dem
allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 Abs. 1
GG entnommen hat, als eigenständiges Grundrecht herausgestellt worden.
Satz 1 der Norm enthält in der gedrängten, dem spezifischen
Sprachgebrauch einer Verfassung entsprechenden Form die Aussage des
Bundesverfassungsgerichts, daß die freie Entfaltung der
Persönlichkeit unter den modernen Bedingungen der Datenverarbeitung
den Schutz des Einzelnen gegen unbegrenzte Erhebung, Speicherung,
Verwendung und Weitergabe seiner persönlichen Daten voraussetzt (aaO.,
S. 43). Dem Satz 2 liegt die Formulierung des Bundesverfassungsgerichts
zugrunde, daß grundsätzlich der Einzelne Einschränkungen
seines Rechts auf informationelle Selbstbestimmung im überwiegenden
Interesse der Allgemeinheit hinnehmen muß (aaO., S. 44) . Das in Art.
6 Abs. 1 LV benannte Grundrecht hat seinen hohen Rang durch den
inhaltlichen Bezug auf Art. 5 Abs. 2 LV, wonach das Land um des Menschen
willen da ist und die Würde des Menschen zu achten und zu
schützen hat.
Den in Art. 6 bis 10 LV einzeln benannten Grundrechten ist Art. 5 Abs. 3
LV vorangestellt. Danach sind die Grundrechte und staatsbürgerlichen
Rechte des Grundgesetzes Bestandteil dieser Verfassung und unmittelbar
geltendes Recht. Damit ist auch das Recht auf informationelle
Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 Abs. 1 GG in die
Landesverfassung inkorporiert. Das Landesverfassungsgericht kann an dieser
Stelle offen lassen, ob insoweit Grundrechtsschutz nur durch Art. 6 Abs. 1
oder auch über Art. 5 Abs. 3 LV vermittelt wird. Jedenfalls soll die
gewählte Regelungstechnik in der Landesverfassung nicht zu einer
Einschränkung des Grundrechts schütz es führen, sondern die
gesamte Fülle des Schutzes soll für das Recht auf informationelle
Selbstbestimmung optimal gewährleistet sein (vgl.
Abschlußbericht der Verfassungskommission, LT-Drs. 1/3100 vom
07.05.1993) .
4. Über das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist aus dem
Volkszählungsurteil (BVerfGE 65, 1, 41 ff.) festzuhalten: Im
Mittelpunkt der grundgesetzlichen Ordnung stehen Wert und Würde der
Person, die in freier Selbstbestimmung als Glied einer freien Gesellschaft
wirkt. Ihrem Schutz dient auch das allgemeine Persönlichkeitsrecht,
nicht zuletzt im Hinblick auf neue Gefährdungen durch moderne
Entwicklungen. Der Einzelne kann grundsätzlich selbst entscheiden,
wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte
offenbart werden. Unter den Bedingungen der automatischen
Datenverarbeitung, die eine Zusammenführung von Daten bis hin zu einem
Persönlichkeitsbild ermöglichen, bedarf diese Befugnis besonderen
Schutzes. Mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung wären
eine Gesellschaftsordnung und eine sie ermöglichende Rechtsordnung
nicht vereinbar, in der Bürger nicht mehr wissen können, wer was
wann und bei welcher Gelegenheit über sie weiß. Danach setzt
freie Entfaltung der Persönlichkeit den vom Grundrecht aus Art. 2 Abs.
1 iVm. Art. 1 Abs. 1 GG umfaßten Schutz des Einzelnen gegen
unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe seiner
persönlichen Daten voraus. Das Grundrecht gewährleistet insoweit
die Befugnis des Einzelnen, über die Preisgabe und Verwendung seiner
persönlichen Daten zu bestimmen. Da das Grundgesetz die Spannung
zwischen Individuum und Gemeinschaft im Sinne der Gemeinschaftsbezogenheit
und Gemeinschaftsgebundenheit der Person entschieden hat, muß jedoch
der Einzelne grundsätzlich Einschränkungen seines Rechts auf
informationelle Selbstbestimmung im überwiegenden Allgemeininteresse
hinnehmen. Diese Beschränkungen bedürfen einer gesetzlichen
Grundlage, aus der sich die Voraussetzungen und der Umfang der
Beschränkungen klar und für den Bürger erkennbar ergeben und
die damit dem rechtsstaatlichen Gebot der Normenklarheit entspricht. Der
Gesetzgeber hat den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu
beachten. Dieser folgt aus dem Wesen der Grundrechte, die als Ausdruck des
allgemeinen Freiheitsanspruchs des Bürgers gegen den Staat
Beschränkungen nur soweit gestatten, als sie zum Schutz
öffentlicher Interessen unerläßlich sind. Wegen der
Gefährdungen durch die automatische Datenverarbeitung hat der
Gesetzgeber mehr als früher auch organisatorische und
verfahrensrechtliche Vorkehrungen zu treffen, die der Gefahr einer
Verletzung des Persönlichkeitsrechts entgegenwirken. Die
Sensibilität von Informationen kann nicht allein davon abhängen,
ob sie intime Vorgänge betreffen, sondern es ist jeweils Klarheit
über den Zweck sowie die Verwendungs- und
Verknüpfungsmöglichkeiten zu gewinnen. Zu welchen Regelungen
hinsichtlich nicht anonymisierter Daten der Gesetzgeber von Verfassungs
wegen gezwungen ist, hängt von deren Art, Umfang und denkbaren
Verwendungen sowie der Gefahr ihres Mißbrauchs ab. Ein Zwang zur
Angabe personenbezogener Daten setzt voraus, daß der Gesetzgeber den
Verwendungszweck bereichsspezifisch und präzise bestimmt und daß
die Angaben für diesen Zweck geeignet und erforderlich sind. Daher
wäre die Sammlung auf Vorrat zu unbestimmten oder noch nicht
bestimmbaren Zwecken unzulässig. Die datensammelnden Stellen werden
sich auf das zur Zielerreichung erforderliche Minimum beschränken
müssen. Ein amtshilfefester Schutz gegen Zweckentfremdung durch
Weitergabe- und Verwertungsverbote ist erforderlich.
IV.
Es ist mit dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung nicht
vereinbar, daß § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SOG M-V für
jedermann schon deshalb, weil er sich auf einer mehr als 30 km von der
Grenze entfernten Durchgangs Straße befindet, die - mit Zwang
durchsetzbare - Pflicht statuiert, der Polizei zur Unterbindung des
unerlaubten Aufenthalts und zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten
der grenzüberschreitenden Kriminalität seine Identität zu
offenbaren.
1. Bei den Örtlichkeiten, an denen nach dieser Vorschrift die
Polizei die Identität feststellen darf, sind zwei Gruppen zu
unterscheiden, nämlich einerseits das Grenzgebiet bis zu einer Tiefe
von 30 Kilometern, die öffentlichen Einrichtungen des internationalen
Verkehrs und das Küstenmeer, andererseits die Durchgangsstraßen
(Bundesautobahnen, Europastraßen und andere Straßen von
erheblicher Bedeutung für den grenzüberschreitenden Verkehr). Die
Örtlichkeiten der ersten Gruppe - auch die gegebenenfalls im
Hinterland gelegenen öffentlichen Einrichtungen des internationalen
Verkehrs, von denen aus oder zu denen hin eine Grenze überquert wird
-, sind durch Grenznähe definiert. Bei den Durchgangs Straßen -
soweit sie mehr als 30 Kilometer von der Grenze entfernt sind - ist das
nicht der Fall. Vielmehr ist auf Durchgangsstraßen in allen Teilen
des Landes Raum für die Feststellung der Identität von jedermann.
Dieser sachliche Unterschied gebietet eine gesonderte verfassungsrechtliche
Prüfung.
a) Befugnisnormen des Polizeirechts sind gemeinhin dadurch
gekennzeichnet, daß tatbestandliche Voraussetzungen beschrieben
werden, die erfüllt sein müssen, damit eingegriffen werden darf.
Durch die Aufstellung solcher Voraussetzungen pflegen Befugnisnormen sich
von Aufgabenzuweisungen zu unterscheiden; dies ist grundsätzlich ein
rechtsstaatliches Gebot, weil es die Funktion erst einer Befugnisnorm ist,
Eingriffshandeln der Polizei zu ermöglichen, und deshalb unter diesem
Aspekt die Belange der Allgemeinheit und des Einzelnen gerecht abgewogen
werden müssen. § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SOG M-V ist jedoch
durch eine finale Struktur geprägt (vgl. Waechter, DÖV 1999, 138,
142). Mit der Vorschrift ist ein Ausschnitt aus der finalen
Aufgabenzuweisung des § 7 Abs. 1 Nr. 4 SOG M-V - "im Rahmen der
Gefahrenabwehr auch Straftaten zu verhüten und für die Verfolgung
künftiger Straftaten vorzusorgen (vorbeugende Bekämpfung von
Straftaten)" - in eine Befugnisnorm umgesetzt worden. Für die
Wahrnehmung der Befugnis genügt das Ziel, Straftaten vorbeugend zu
bekämpfen. Insoweit findet sich gegenüber der Aufgabenzuweisung
eine Begrenzung insofern, als aufgrund der Befugnisnorm nur der unerlaubte
Aufenthalt und vorbeugend Straftaten der grenzüberschreitenden
Kriminalität bekämpft werden dürfen. Das ändert aber
nichts daran, daß das verfolgte Ziel für sich bereits die
Legitimation für die Identitätsfeststellung gibt. Dabei ist das
Ziel die Bekämpfung jeglicher - auch leichter -
grenzüberschreitenden Kriminalität; die Aussage in der
Allgemeinen Begründung (S. 15) des Gesetzentwurfs (LT-Drs. 2/2468),
die Eingriffsbefugnis ziele - nur - auf Straftaten von erheblicher
Bedeutung im Sinne des § 49 SOG ab, stimmt mit der Fassung des
Gesetzes nicht überein. Eine Gefahr oder Gefährdungslage für
zu schützende Rechtsgüter braucht nach dem Wortlaut des Gesetzes
nicht zu bestehen. Die Anwendung der Norm ist zwar auf die in ihr genannten
Örtlichkeiten beschränkt. Da aber weitere konditionale
Begrenzungen fehlen, ist jedermann schon deshalb, weil er sich auf einer
Durchgangsstraße bewegt, der Möglichkeit eines polizeilichen
Zugriffs ausgesetzt.
b) Mit sämtlichen angeführten Gesichtspunkten sind
Regelungsdefizite benannt, aus denen sich ergibt, daß § 29
Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SOG M-V, soweit er sich auf Durchgangsstraßen
außerhalb des Grenzgebiets bezieht, nichtig ist.
Die Vorschrift ist mit dem in den Grundrechten und im
Rechtsstaatsprinzip (Art. 4 LV, Art. 5 Abs. 3 LV iVm. Art. 20 Abs. 3 und 28
Abs. 1 Satz 1 GG) verankerten Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit nicht vereinbar. Danach müssen
gesetzliche Regelungen zur Erreichung eines legitimen Zweckes geeignet und
erforderlich sein und dürfen die dem Gesetz Unterworfenen nicht
übermäßig und unzumutbar belasten (vgl. BVerfGE 17, 306,
313 f.; 63, 88, 115; 76, 1, 51; 69, 1, 35; 90, 145, 173; 96, 10, 23). Auf
allen drei Ebenen des Verfassungsbegriffs der
Verhältnismäßigkeit sind die verfolgten Zwecke und die zu
ihrer Erreichung angewendeten Mittel in eine Relation zueinander zu
setzen.
Für den angemessenen Ausgleich zwischen Allgemein- und
Individualinteressen, die der Gesetzgeber bei Regelungen, die das Recht auf
informationelle Selbstbestimmung einschränken, herbeizuführen
hat, sind Kriterien auf grundrechtlicher Seite die Gestaltung der
Einschreitschwellen, die Zahl der Betroffenen und die Intensität der
Beeinträchtigungen. Auf Seiten der Gemeinwohlinteressen ist das
Gewicht der verfolgten Belange maßgeblich; es hängt unter
anderem davon ab, wie groß die Gefahren sind, denen begegnet werden
soll, und wie wahrscheinlich ihr Eintritt ist (BVerfG, Urteil vom
14.07.1999,3. 87 f. = EuGRZ 1999, 389, 407).
2. Nach diesen Maßstäben ist es nicht gerechtfertigt,
daß jedermann auf Durchgangsstraßen ohne weiteres einer
Identitätsfeststellung unterworfen werden kann, wenn die Polizei damit
bezweckt, grenzüberschreitende Kriminalität jeder Art vorbeugend
zu bekämpfen oder den unerlaubten Aufenthalt zu unterbinden.
a) Aus grundrechtlicher Sicht erscheint - isoliert betrachtet - die
Identitätsfeststellung geringfügig in dem Fall, daß dem
Betroffenen nicht mehr widerfährt, als von der Polizei angehalten zu
werden und auf Aufforderung seine Ausweispapiere vorzuweisen. Diese
Betrachtungsweise erschöpft indessen nicht die verfassungsrechtliche
Problematik. Denn damit wird zum einen nicht in den Blick genommen,
daß die Identitätsfeststellung gerade die Befugnis zu
Zwangseingriffen ("Folgeeingriffen") und zur Verwendung der erhobenen Daten
einschließt. Zum anderen handelt es sich um die Statuierung einer
Pflicht, ereignis- und verdachtsunabhängig die Personalien angeben zu
müssen, ohne dies durch eigenes Verhalten vermeiden zu
können.
b) Soweit § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SOG M-V die Befugnis gibt,
daß jedermann auf Durchgangsstraßen einer
Identitätsfeststellung unterzogen werden darf, verstößt die
Vorschrift gegen das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung,
wieweit auch immer ein Interesse der Allgemeinheit an der Unterbindung des
unerlaubten Aufenthalts und an der vorbeugenden Bekämpfung von
Straftaten der grenzüberschreitenden Kriminalität gehen mag: die
Grenzen des verfassungsrechtlich Zulässigen sind überschritten,
wenn ohne Differenzierung eine Eingriffsbefugnis gegen jeden, der sich auf
Durchgangsstraßen außerhalb des Grenzgebiets aufhält,
gegeben wird.
aa) Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 Abs. 1 GG verbietet staatliche
Maßnahmen, die die Freiheit der Person über die in Art. 2 Abs. 1
GG gezogenen Schranken hinaus beeinträchtigen. Aus Art. 2 Abs. 1 GG
folgt das Recht eines jeden zu eigenem selbstbestimmten Verhalten. Das
schließt die beliebige Vereinnahmung zu staatlicher Zweckverfolgung
aus.
Das Landesverfassungsgericht kann allerdings nicht der Auffassung der
Beschwerdeführer folgen, aus dem Menschenbild des Grundgesetzes ergebe
sich eine Vermutung der Redlichkeit. Dann wären Kontrollbefugnisse des
Staates nur dann gegeben, wenn im Einzelfall Anzeichen dafür
vorlägen, daß der Bürger das in ihn gesetzte Vertrauen
nicht verdient. Es gäbe keine Handhabe, auf den Gebieten des
Sonderordnungsrechts - im Bauordnungsrecht, im Umweltrecht, im Wasserrecht,
im Gaststättenrecht, im Lebensmittelrecht, im Recht der technischen
Sicherheit, im Atomrecht, im Waffenrecht, im Straßenverkehrsrecht
usw. - Kontrollen unabhängig davon vorzusehen, ob es Anzeichen
dafür gibt, daß der Einzelne die maßgeblichen
Rechtsvorschriften nicht einhält. Das kann die Verfassung nicht
gebieten. Im Gegenteil, es entspricht dem verfassungsrechtlichen Auftrag
des Staates, die Belange der Allgemeinheit und des Einzelnen, zu
schützen, in den genannten und anderen Bereichen die Möglichkeit
von Kontrollen nicht nur zur Abwehr gegebener Gefahren, sondern bereits in
deren Vorfeld zu schaffen. Dem Staat ist auch Risikovorsorge aufgegeben,
insbesondere dann, wenn es potentiell beträchtliche Schäden zu
vermeiden gilt.
Jedoch ist den Eingriffsmöglichkeiten nach Sonderordnungsrecht
gemeinsam, daß sie an die Verantwortlichkeit des Pflichtigen - als
Bauherr, Inhaber eines Betriebes usw. - anknüpfen. Das gilt
insbesondere auch für Verkehrskontrollen nach § 35 Abs. 5
StVO: Es wird kontrolliert, weil Mängel eines Fahrzeugs und dessen
unsachgemäße Führung zu großen Schäden
führen können; in Anspruch genommen wird der für die
Schadensvermeidung verantwortliche Fahrzeugführer.
In dem nach einfachem Recht jeweils erforderlichen
Zurechnungszusammenhang zeigt sich zugleich eine verfassungsrechtliche
Grenze staatlicher Eingriffe, die auch für polizeiliche Eingriffe
gesetzt ist. Der Freiheitsanspruch des Einzelnen verlangt, daß er von
polizeilichen Maßnahmen verschont bleibt, die nicht durch eine
hinreichende Beziehung zwischen ihm und einer Gefährdung eines zu
schützenden Rechtsguts oder eine entsprechende Gefahrennähe
legitimiert sind. Anderenfalls wird gegen das aus dem Rechtsstaatsprinzip
folgende Verbot unnötiger Eingriffe (BVerfGE 17, 306, 313 f., 30, 250,
263) verstoßen.
bb) Im Polizeirecht wird die Legitimation staatlicher Eingriffe
grundsätzlich in der Weise hergestellt, daß eine Gefahr
abzuwehren ist und die Abwehr durch Maßnahmen gegen einen für
die Gefahr verantwortlichen Störer geschieht (§§ 68 -
70 SOG M-V). Unter qualifizierten Voraussetzungen kann im polizeilichen
Notstand der Nichtstörer in Anspruch genommen werden (§ 71
SOG M-V), dem gegebenenfalls eine Entschädigung zu gewähren ist
(§ 72 SOG M-V).
Ebenso wie im Rechtsstaat nicht jedermann als potentieller Verbrecher
behandelt werden darf (BVerwGE 26, 169, 170), darf im Polizeirecht die
Unterscheidung zwischen Störern und Nichtstörern nicht nivelliert
werden (vgl. SächsVerfGH, LVerfGE 4, 303, 349 f.) . Durch
§ 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SOG M-V sind. jedoch alle Personen, die
sich auf Durchgangsstraßen aufhalten, Störern gleichgestellt,
ohne daß dies sachlich legitimiert wäre.
In der Systematik der §§ 68 ff. SOG M-V hält sich
§ 29 Abs. 1. Satz 1 SOG M-V, indem dort die Befugnis gegeben
wird, zur Abwehr einer im einzelnen Falle bevorstehenden - also konkreten -
Gefahr die Identität einer Person festzustellen. Die Maßnahme
richtet sich gegen einen Störer, allenfalls im polizeilichen Notstand
gegen einen Nichtstörer. Dabei kann sie auch der Gefahrerforschung
dienen, also der Ermittlung, ob eine Gefahr, für deren Vorliegen es
Anhaltspunkte gibt, überhaupt besteht, oder der Ermittlung ihres
Umfangs oder des Verantwortlichen.
§ 29 Abs. 1 Satz 2 SOG M-V hingegen gibt die Befugnis zur
Feststellung der Identität von jedermann, also ohne daß der
Betroffene Störer ist. Auch braucht eine konkrete Gefahr nicht
vorzuliegen. Dabei findet die in den Nummern 1 bis 3 vorgenommene
Gleichstellung mit Störern ihre Rechtfertigung dadurch, daß die
Personen sich an begrenzten Örtlichkeiten aufhalten, an denen typisch
Gefahren auftreten können und deshalb jedenfalls eine
Gefährdungslage gegeben ist, nämlich an "verrufenen" (Nr. 1) oder
an "gefährdeten" Orten (Nr. 2) oder in oder bei einem wegen seiner
Gefährdung besonders geschützten Objekt (Nr. 3). Der für den
Eingriff notwendige Zurechnungszusammenhang folgt aus dem - im übrigen
zumeist vermeidbaren - Aufenthalt an einer gefahrenträchtigen
Örtlichkeit. Bei Nr. 4 ist die Befugnis zur
Identitätsfeststellung dadurch begründet, daß die
Kontrollstelle der Polizei zur Verhütung von in der Vorschrift
aufgeführten gewichtigen Straftaten, für deren Begehung
tatsächliche Anhaltspunkte bestehen, eingerichtet worden ist. Hier
liegt eine zeitlich begrenzte, durch eine schwerwiegende
Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit gekennzeichnete
Sondersituation vor.
Bei Nr. 5 verhält es sich grundlegend anders. Daß jemand sich
auf einer Durchgangsstraße von erheblicher Bedeutung für den
grenzüberschreitenden Verkehr aufhält, ist allein kein Umstand,
der in vergleichbarer Weise einen Zurechnungszusammenhang zwischen
jedermann und der (möglichen) Schädigung von durch die
vorbeugende Bekämpfung von Straftaten zu schützenden
Rechtsgütern herstellen könnte. Die Befugnis ist weder
örtlich auf gefahrenträchtige Örtlichkeiten noch zeitlich
auf Sondersituationen begrenzt. Die Durchgangsstraßen sind - anders
als die in Nrn. 1 bis 3 genannten Örtlichkeiten - nicht dadurch
geprägt, daß auf ihnen Kriminalität stattfindet. Vielmehr
steht nur eine verschwindende Minderheit der Verkehrsteilnehmer im
Zusammenhang mit Straftaten der grenzüberschreitenden
Kriminalität. Es gibt auch nicht generell auf den
Durchgangsstraßen tatsächliche Anhaltspunkte für die
Begehung schwerer Straftaten der grenzüberschreitenden
Kriminalität; soweit sie im Einzelfall bestehen sollten, könnte
von der Befugnis aus Nr. 4 Gebrauch gemacht werden. Mithin ist die
Identitätsfeststellung auf Durchgangsstraßen als einziger
Eingriff im Polizeirecht weder an einen Anlaß noch an eine
spezifizierte Gefährdungslage noch an Anhaltspunkte dafür,
daß dem Betroffenen etwas anzulasten sein könnte, gebunden.
Verdachtslose Eingriffe können außerhalb des Polizeirechts -
nämlich nach dem Gesetz zu Art. 10 GG - ausnahmsweise zur
Aufrechterhaltung der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland
gegenüber Gefahren, die nicht vornehmlich personenbezogen sind,
zulässig sein; das ist aber nur aus dem gegenüber dem
Polizeirecht und dem Strafprozeßrecht unterschiedlichen Zweck dieses
Gesetzes gerechtfertigt (BVerfG, Urteil vom 14.07.1999, S.93, 97 = EuGRZ
1999, 389, 408 f.).
Da das Vorgehen gegen jedermann auf Durchgangsstraßen nicht durch
eine individuell zurechenbare Gefährdungslage gerechtfertigt ist,
bleiben für den Eingriff gegen einen Unverdächtigen nur zwei
denkbare Ziele, die beide nicht ausreichen, um sich gegen den
Freiheitsanspruch des Einzelnen durchzusetzen. Das erste besteht darin, dem
Einzelnen die Pflicht, sich einer anlaßlosen
Identitätsfeststellung zu unterziehen, als "Soziallast zur Steigerung
des Sicherheitsniveaus" aufzuerlegen (Löwer, 87. Prot. des
Innenausschusses des Deutschen Bundestages vom 15.06.1998, Öffentliche
Anhörung von sachverständigen zu dem Entwurf eines Ersten
Gesetzes zur Änderung des Bundesgrenzschutzgesetzes, S. 102). Das
liefe darauf hinaus, daß dem Einzelnen ohne einen bestimmten
Zurechnungszusammenhang ein Eingriff angesonnen wird. Insoweit ist die
Rechtslage nicht vergleichbar mit den überkommenen Hilfspflichten in
Notlagen (dazu Lisken/Benninger, Handbuch, D Rn. 9, 10).
Das zweite denkbare Ziel ist Abschreckung dadurch, daß jedermann
mit dem Eingriff rechnen muß. Generalprävention ist legitim bei
eingriffslosem Handeln der Polizei im Rahmen, ihrer Aufgabenerfüllung;
sie ist indes keine alleinige Legitimationsgrundlage für ein
eingreifendes polizeiliches Handeln (vgl. Waechter, DÖV 1999, 138, 144
ff.). Selbstverständlich ist es möglich, daß sich bei einer
verdachtslosen Kontrolle die Verwicklung des Betroffenen in
grenzüberschreitende Kriminalität herausstellen mag. Würde
man dies jedoch zur Rechtfertigung des Eingriffs genügen lassen,
wären die freiheitssichernden Eingriffsschwellen, die das Polizeirecht
in Gestalt der Gefahr und das Strafprozeßrecht durch den
Anfangsverdacht (§§ 152 Abs. 2, 163 b StPO) setzt,
obsolet.
c) Dem Landesverfassungsgericht ist ferner deutlich geworden, daß
für die Kontrollen auf kriminalistische Erfahrung und polizeiliche
Lagebilder aufgebaut wird. Das bezieht sich sowohl darauf, wo auf
Durchgangsstraßen kontrolliert wird, als auch darauf, wer von den
vielen Verkehrsteilnehmern der Identitätsfeststellung unterzogen wird.
Entsprechend haben sich Kunkel (S. 29), Burger (S. 35) und Walter (S. 115)
in der erwähnten Anhörung zum BGSG geäußert. Schapper
(S. 13, 30 f., 42 f.) hat dort ausgeführt: Es würden Lagebilder
erstellt. Kontrolliert werde, wer dem Lagebild entspreche. Es müsse
eine allgemeine Verdachtslage vorliegen, die Bezüge zu den zu
kontrollierenden Personen aufweise. Alle arbeiteten mit Lagebildern; in
Wahrheit handele es sich um lagebildabhängige Kontrollen. Auch das
Innenministerium und die Polizei haben sich im vorliegenden Verfahren in
der findlichen Verhandlung dahin geäußert, daß die
Identitätsfeststellung nicht bei jedermann vorgenommen werde, sondern
dort, wo sie einen Ertrag verspreche.
Dem hätte der Gesetzgeber durch eine entsprechende Eingrenzung der
Norm Rechnung tragen müssen. Soweit der Grund für die
gegenüber ihrem Wortlaut eingeschränkte Anwendung der Vorschrift
in den technisch und personell begrenzten Kapazitäten der Polizei
liegen sollte, ist das für die verfassungsrechtliche Beurteilung
unerheblich, da die Kapazitäten in Übereinstimmung mit dem Gesetz
ausweitbar wären (BVerfG, aaO., S. 93 = EuGRZ 1999, 389, 408). Es
kommt ganz allgemein für die verfassungsrechtliche Wertung nicht
darauf an, was in Anwendung des Gesetzes geschieht, sondern darauf, was,
ohne gegen es zu verstoßen, geschehen darf.
3. Wenn auch der Gesetzgeber mit der Regelung, daß auf
Durchgangsstraßen die Identitätsfeststellung gegen jedermann
ohne weiteres zulässig sei, die ihm gesetzten Grenzen
überschritten hat, so ist es doch verfassungsrechtlich nicht zu
beanstanden, daß eine - begrenzte - Befugnis für die
Identitätsfeststellung zur Unterbindung des unerlaubten Aufenthalts
und zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten der
grenzüberschreitenden Kriminalität gegeben wird. Diese darf sich
jedoch nicht - wie in der dem Landesverfassungsgericht zur Prüfung
unterbreiteten Norm geschehen - auf jegliche, sondern nur auf qualifizierte
Formen der grenzüberschreitenden Kriminalität beziehen.
a) Freiheit und Sicherheit stehen in einem natürlichen
Spannungsverhältnis. Andererseits ist Sicherheit auch eine
Voraussetzung von Freiheit (vgl. VerfGBbg, Urteil vom 30.06.1999 - VfGBbg
3/98 -, S. 28) . Die Sicherheit des Staates als verfaßte Friedens-
und Ordnungsmacht und die von ihm zu gewährleistende Sicherheit der
Bevölkerung sind unverzichtbare Verfassungswerte, die mit anderen im
Rang gleichstehen (BVerfGE 49, 24, 56 f.). Im Rechtsstaatsprinzip selbst
ist die Gegenläufigkeit von Freiheit und Sicherheit angelegt (vgl.
BVerfGE 65, 283, 290). Der Rechtsstaat fordert auch die zur Wahrung der
verfassungsmäßigen Ordnung notwendigen Institutionen.
Demgemäß dient auch die Polizei dem Verfassungsvollzug; sie ist
ein von der Verfassung gefordertes Mittel der Gewährleistung der
Grundrechtsordnung (Lisken, Handbuch, C Rn. 1, 34) .
b) Es ist legitim, daß zur Verteidigung des Staates und seiner
Bürger die Polizei Eingriffsbefugnisse erhält, mit denen sie
vorbeugend die organisierte Kriminalität bekämpfen kann.
Die vorbeugende Bekämpfung von Straftaten, wie sie in der
Aufgabenzuweisung nach § 7 Abs. 1 Nr. 4 SOG M-V umschrieben ist,
stellt zweifellos einen hohen Belang des Wohls der Allgemeinheit dar. Der
Rechtsstaat, der eine verfaßte Friedensordnung gewährleisten
soll, hat sich der Aufgabe anzunehmen, die Bürger zu schützen.
Der Verhinderung und Aufklärung von Straftaten kommt nach dem
Grundgesetz hohe Bedeutung zu (BVerfGE, 77, 65, 76 mwN.; 80, 367, 375;
BVerfG, Urteil vom 14.07.1999, S. 105 = EuGRZ 1999, 389, 411).
c) Dieses hochrangige Allgemeininteresse kann sich auch im Wege einer
polizeilichen Eingriffsbefugnis gegen den Einzelnen durchsetzen, allerdings
nur hinsichtlich gewichtiger Straftaten, wenn deren besondere
Begehungsweise es rechtfertigt, nicht erst bei Vorliegen eines
Anfangsverdachts oder einer konkreten Gefahr, sondern schon vorher
vorbeugend gegen sie vorzugehen. Denn bei der vorbeugenden Bekämpfung
von Straftaten werden die rechtsstaatlichen Eingriffsschwellen der Gefahr
aus dem herkömmlichen Polizeirecht und des Anfangsverdachts aus dem
Strafverfahrensrecht unterschritten. Das kann nur ausnahmsweise zugelassen
werden. Den Ausnahmecharakter einer solchen Befugnis muß der
Gesetzgeber deutlich machen. So ist zu verhindern, daß sie zu einer
Blankoermächtigung wird, die ein Einfallstor zu polizeilicher Allmacht
sein könnte (vgl. SächsVerfGH, aa0., S. 350, 359). Wäre sie
eine Regelbefugnis, so könnten die genannten rechtsstaatlichen
Sicherungen in nicht hinnehmbarer Weise auf einem weiten Feld unterlaufen
werden.
Daraus ergibt sich ohne weiteres, daß es verfassungswidrig ist,
eine Eingriffsbefugnis zur vorbeugenden Bekämpfung, jeglicher
Straftaten der grenzüberschreitenden Kriminalität zu geben. Eine
generelle Wertung, daß sie schwerer seien als inlandsbezogene
Straftaten, verbietet sich. Insoweit verfehlt § 29 Abs. 1 Satz 2
Nr. 5 SOG M-V die gebotene Proportionalität zwischen den verfolgten
Allgemeininteressen und dem zu wahrenden Recht auf informationelle
Selbstbestimmung sowie anderen Rechten des Einzelnen.
Dagegen ist die vorbeugende Bekämpfung der organisierten
Kriminalität geeignet, eine Befugnis zu einem auf
Informationsgewinnung gerichteten Eingriff, wie ihn die
Identitätsfeststellung darstellt, zu legitimieren. Wie sich nicht nur
aus der Begründung des Gesetzentwurfs (LT-Drs. 2/468), sondern auch
durchgängig aus den Redebeiträgen in den Verhandlungen des
Landtags (PlenProt. 2/59, S. 3569 ff. und 2/76, S. 4757 ff.) ergibt, ist es
die Intention der an der Gesetzgebung beteiligten Personen gewesen,
über die Einführung neuer polizeilicher Instrumente zur
Bekämpfung spezifisch der organisierten Kriminalität zu
entscheiden. Dieser allgemeinen Absicht entspricht das Gesetz jedoch nicht.
Es ist dem Landesverfassungsgericht verwehrt, ein dem eindeutigen Wortlaut
nach über das vom Gesetzgeber eigentlich Gewollte hinausgehendes
Gesetz zu "korrigieren".
In der zweiten Lesung sind als Kriminalitätsbereiche, die durch
§ 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SOG M-V getroffen werden sollen, genannt
worden: Menschenhandel, Rauschgifthandel, Schleusung von Ausländern
("Schlepperunwesen"), Autoschieberei, Raubzüge auf Geldinstitute und
Tankstellen (PlenProt. 2/76, S. 4764, 4775). Es handelt sich in dieser -
nicht erschöpfenden - Aufzählung von Straftaten der
grenzüberschreitenden Kriminalität um Delikte, die vielfach
dadurch gekennzeichnet sind, daß sie in auf längere Zeit
angelegten Strukturen, innerhalb einer Organisation, begangen werden. Sie
sind entweder schon für sich gewichtig oder gewinnen ihr
Bedrohungspotential gerade daraus, daß sie organisiert und
arbeitsteilig - oft von langer Hand - geplant und ausgeführt
werden.
Es ist ohne weiteres plausibel, daß ein wesentlicher Teil der im
Gemeinwohl liegenden Bekämpfung derartiger besonders
gemeinschädlicher Kriminalität darin besteht, nicht nur gegen die
einzelnen Straftaten vorzugehen, sondern insbesondere auch gegen die
Strukturen, aus denen sie wachsen. Dazu gehört, daß die Polizei
Kenntnisse über die Strukturen erlangt. Das verweist sie auf
Informationsbeschaffung bereits im Vorfeld konkreter Straftaten.
d) Wird die Identitätsfeststellung zur Unterbindung des unerlaubten
Aufenthalts gestattet, so muß das gleichfalls dahin ausgelegt werden,
daß eine qualifizierte Gefährdungslage vorausgesetzt wird. Sie
liegt dann vor, wenn es sich um einen Unterfall der vorbeugenden
Bekämpfung von Straftaten der organisierten grenzüberschreitenden
Kriminalität handelt, also ein unerlaubter Aufenthalt gemeint ist, der
zur Begehung solcher Straftaten genutzt zu werden droht. Andere
Gefährdungslagen müßten ein vergleichbares Gewicht haben.
Würde die Eingriffsschwelle bei dem Zweck der Unterbindung des
unerlaubten Aufenthalts niedriger gelegt, würden angesichts der
Austauschbarkeit der beiden Zwecke die Sicherungen, die bei der
vorbeugenden Bekämpfung grenzüberschreitender Kriminalität
geboten sind, unterlaufen werden können.
e) Um dem rechtsstaatlichen Bestimmtheitserfordernis zu entsprechen,
müssen die Zwecke, zu denen kontrolliert werden darf, hinreichend
präzise und normenklar festgelegt, die Gefahrenlagen müssen genau
genug beschrieben sein (BVerfGE, aa0., S. 83 = EuGRZ 1999, 389, 406). Das
macht es notwendig, einen Katalog derjenigen Straftaten aufzustellen, die
durch Identitätsfeststellung vorbeugend bekämpft werden
dürfen. Der Katalog muß spezifisch - nach Straftatbeständen
und Begehungsformen - auf die organisierte Kriminalität zugeschnitten
sein. Danach kommt eine Übernahme des Kataloges der Straftaten von
erheblicher Bedeutung aus § 49 SOG M-V nicht in Betracht.
Maßgeblich ist auf die organisierte Begehungsform abzustellen. Es
können nicht alle Verbrechen einbezogen werden. Vergehen werden
allenfalls ausnahmsweise aufgenommen werden können.
4. Ob die Identitätsfeststellung geeignet ist, internationale
Kriminalität vorbeugend zu bekämpfen, hat primär der
Gesetzgeber zu beurteilen. Für die Eignung auf der Gesetzesebene
genügt es, daß die abstrakte Möglichkeit der
Zweckerreichung besteht, die zugelassenen Maßnahmen also nicht von
vornherein untauglich sind, sondern dem gewünschten Erfolg
förderlich sein können (BVerfG, aa0., S. 84 = EuGRZ 1999, 389,
406 f.). Wenn diese Voraussetzungen vorliegen, hindern unterschiedliche
Bewertungen sachverständiger Kreise den Gesetzgeber nicht, ein ihm
wirksam erscheinendes Mittel zu ergreifen (VerfGBbg aa0. S. 29).
Nach diesem Maßstab kann die Eignung nicht in Frage gestellt
werden. Es ist durchaus, möglich, daß durch die
Identitätsfeststellung Erkenntnisse über die Struktur krimineller
Organisationen und über geplante Straftaten der
grenzüberschreitender Kriminalität gewonnen werden. Die Frage, ob
die Befugnis zur Identitätsfeststellung so nachhaltig zur
Bekämpfung dieser Kriminalität geeignet ist, daß auf Dauer
die Grundrechtsbeeinträchtigungen gerechtfertigt erscheinen, sollte
für den Gesetzgeber ein Anlaß sein, die Wirksamkeit einer
einschlägigen Regelung zu beobachten. Steht hinter seiner
Einschätzung die ernsthafte und begründete Erwartung eines
Erfolges, so kann eine experimentierende Regelung verfassungsrechtlich
nicht beanstandet werden (SächsVerfGH aa0. S. 355); einem
experimentierenden Charakter aber entspricht eine begleitende
Beobachtung.
5. Auch die Erforderlichkeit kann einer Vorschrift, welche die Befugnis
gibt, zur vorbeugenden Bekämpfung organisierter
grenzüberschreitender Kriminalität die Identität einer
Person schon im Vorfeld einer Gefahr festzustellen, nicht abgesprochen
werden, wenn nicht jedermann, der sich auf einer Durchgangsstraße
aufhält, schon deshalb gewärtigen muß, einer Kontrolle
unterzogen zu werden.
6. Nachdem § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SOG M-V insofern
verfassungswidrig ist, als auf Durchgangsstraßen außerhalb des
Grenzgebiets jedermann ohne weiteres einer Identitätsfeststellung
unterzogen werden darf (s. o. 2.), wird der Gesetzgeber bei einer
eventuellen Neuregelung gehalten sein, diese polizeiliche Maßnahme
nur dann zuzulassen, wenn der verfassungsrechtlich notwendige
Zurechnungszusammenhang zwischen dem Einzelnen und der abzuwendenden
(möglichen) Schädigung besteht.
a) Auch dabei hat der Gesetzgeber sich davon leiten zu lassen, daß
eine Norm über die, Befugnis für die Identitätsfeststellung
zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten der
grenzüberschreitenden Kriminalität als Ausnahmevorschrift
ausgestaltet sein muß. Das folgt daraus, daß die
Aufgabenzuweisung des § 7 Abs. 1 Nr. 4 SOG M-V den Weg dazu
öffnet, der Polizei für das Vorfeld von Gefahr und Verdacht
Eingriffsbefugnisse zu geben. Wird eine solche Befugnis geschaffen, so
muß der Gesetzgeber bei der gebotenen sorgfältigen Abwägung
der Belange der Allgemeinheit und des Einzelnen in den Blick nehmen,
daß bei jeder Eingrifisbefugnis im Vorfeld objektiv ein Unterlaufen
der durch die Zurechnung über die Gefahr und über den Verdacht
der Polizei grundsätzlich gezogenen Grenzen drohen kann. Mithin darf
eine Befugnis zur Identitätsfeststellung nicht als Regelbefugnis
verwendet werden, wie es nach den dem Landesverfassungsgericht im
vorliegenden Verfahren vermittelten Erkenntnissen hinsichtlich des
§ 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SOG M-V im Lande offenbar weitgehend
geschehen ist.
Der Ausnahmecharakter kann nicht mit der Erwägung in Frage gestellt
werden, es werde ein Ausgleich dafür geschaffen, daß zwischen
den Vertragsstaaten des Schengener Durchführungsübereinkommens
die Grenzkontrollen fortgefallen und daß die Außengrenzen zu
den Staaten Osteuropas durchlässiger geworden seien. Denn die Befugnis
zur Identitätsfeststellung auf Durchgangsstraßen außerhalb
des Grenzgebiets macht die wichtigen Straßen des Hinterlands
gleichsam zum Grenzraum. Ihre Ausübung führt zwangsläufig
dazu, daß die Polizei auch Personen kontrolliert, die weder die
Grenze kürzlich überquert haben noch sie demnächst
überqueren wollen.
Der Ausnahmecharakter fordert, daß der Gesetzgeber Vorschriften
mit möglichst hoher Regelungsdichte zu schaffen hat. Er selbst
muß auf der Tatbestandsseite die Voraussetzungen des Eingreifens
festlegen. Dieser Verantwortung darf er sich nicht dadurch entziehen,
daß er, statt Eingrenzungen selbst zu treffen, rechtlich gebotene
Einschränkungen der Exekutive auf der Rechtsfolgenseite - durch
Anwendung der §§ 14 und 15 SOG M-V - oder den Gerichten
überläßt.
Dabei verkennt das Landesverfassungsgericht nicht, daß die
Funktion des verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebots, (auch) Eingriffe
vorhersehbar zu machen, im Sachbereich der vorbeugenden Bekämpfung von
Kriminalität weitgehend nicht zu erfüllen ist, weil nämlich
Voraussehbarkeit für den Betroffenen der sachgerechten Wahrnehmung
dieser Aufgabe geradezu zuwiderlaufen kann. Gerade deshalb ist es
notwendig, daß der Gesetzgeber selbst das regelt, was geregelt,
werden kann, ohne daß die sachgerechte Wahrnehmung in Frage gestellt
wird. Insbesondere kann einer inhaltlichen Unbestimmtheit dadurch zu
begegnen sein, daß Verfahrensregelungen geschaffen werden.
b) Jeder polizeiliche Eingriff "zur" vorbeugenden Bekämpfung
grenzüberschreitender Kriminalität muß durch diesen Zweck
gesteuert sein. Das ist unerläßlich, damit ein Mißbrauch
der weitgehenden Eingriffsbefugnis vermieden wird.
Der Gesetzgeber ist gehalten, in der Befugnisnorm Eingriffsschwellen
festzulegen. Dabei bietet sich eine Orientierung an § 1 Abs. 1 a
BGSG an. Dort ist als Voraussetzung für eine Maßnahme normiert,
daß "auf Grund von Lageerkenntnissen oder grenzpolizeilicher
Erfahrung" ein Grund zur Informationsbeschaffung gegeben sei.
c) Für die Feststellung der allgemeinen Gefährdungslage, die
damit umschrieben werden kann, daß auf Lageerkenntnisse und
polizeiliche Erfahrung abzustellen ist, sind Vorkehrungen des Verfahrens
und der Organisation geboten. In Anbetracht der vorrangig durch ihren Zweck
bestimmten, finalen Befugnis und der damit verbundenen nur
eingeschränkten Möglichkeit, das Handeln der Polizei über
konditionale Tatbestandsmerkmale zu steuern, bedarf es objektiv
nachvollziehbarer Verfahren zur Ermittlung der Lage, in der sich die
Polizei befugt sieht, Maßnahmen der Identitätsfeststellung zur
vorbeugenden Bekämpfung grenzüberschreitender organisierter
Kriminalität zu treffen (vgl. SächsVerfGH a.a.O. S. 368).
Der Rahmen für die polizeilichen Eingriffe wird dadurch zu ziehen
sein, daß Lageerkenntnisse und/oder polizeiliche Erfahrung auf die
drohende Begehung solcher Straftaten hindeuten. Für Bundesautobahnen
und Europastraßen wird das vielfach, aber nicht immer angenommen
werden können. Es bedarf der Dokumentation, auf Grund welcher
Anzeichen die Einschätzung gewonnen worden ist. Das ist zum einen
nötig, damit die Polizei sich über die Rechtmäßigkeit
ihres Handelns in Anwendung einer offenen Norm vergewissert. Zum anderen
ist es geboten zum Schutz des Einzelnen, der Eingriffen bei einer
Identitätsfeststellung unterzogen wird. Er kann zwar vor Ort nicht
nachprüfen, ob die Polizei ihm gegenüber zu Recht von der
Befugnis Gebrauch macht. Jedoch ist die Dokumentationspflicht, einem -
nachträglichen - Rechtsschutz förderlich, der durch Art. 5 Abs. 3
LV in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG grundrechtlich verbürgt
ist.
Für Durchgangsstraßen, die nicht Bundesautobahnen oder
Europastraßen sind, ergeben sich weitere Verfahrensanforderungen.
Daß auch solche Straßen zu Örtlichkeiten erklärt
werden dürfen, auf denen Identitätsfeststellungen stattfinden,
ist nicht zweifelhaft. Es wird dem Ziel, schwere grenzüberschreitende
Kriminalität vorbeugend zu bekämpfen, sogar in besonderem
Maße gerecht, sie einzubeziehen, wenn sie erhebliche Bedeutung
für den grenzüberschreitenden Verkehr haben. Ihre Einbeziehung
bedeutet indessen, daß für den Einzelnen nicht vorhersehbar ist,
sondern er allenfalls ohne Verläßlichkeit vermuten kann, welche
Straßen "andere Durchgangsstraßen" sind. Diese Unbestimmtheit
ist jedoch nicht zu beanstanden, weil sie zur effektiven Wahrnehmung der
Befugnis unumgänglich ist; wüßte derjenige, der in
Straftaten der grenzüberschreitenden organisierten Kriminalität
verwickelt ist, auf welchen anderen Straßen als Bundesautobahnen und
Europastraßen er mit einer Identitätsfeststellung zu rechnen
hat, würde er sich veranlaßt sehen können, sie tunlichst zu
meiden.
Der notwendigen Unbestimmtheit nach außen muß intern durch
ein dokumentiertes Verfahren entgegengewirkt werden. In ihm ist
festzustellen und anzuordnen, daß auf Grund von Lageberichten
und/oder polizeilicher Erfahrung ein hinreichender Grund für die
Einbeziehung der Straße besteht. Die Entscheidung wird durch eine
höhere Stelle zu treffen und regelmäßig zu
überprüfen sein.
7. § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SOG M-V ist auch insofern nicht
verfassungsmäßig, als für die Einzeleingriffe
(Folgeeingriffe) zur Feststellung der Identität keine
Eingriffsschwellen bestimmt sind. Das ist notwendig, um für den
Einzelnen zu sichern, daß dem Charakter als Ausnahmebefugnis Rechnung
getragen und sie nicht in eine Befugnis zu anderen Zwecken verfremdet wird.
Es ist ferner deshalb geboten, weil in Anwendung von § 29 Abs. 3
und 4 und von § 31 SOG M-V in den Fällen von § 29
Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SOG M-V Grundrechtseingriffe großer Tiefe, bis
hin zur Freiheitsentziehung, möglich sind. Insbesondere ist der im
Festhalten und Verbringen zur Dienststelle liegende Eingriff in das
Freiheitsrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 und 3 GG, der die Rechtsgarantien
des Art. 104 GG auslöst, von besonderem, eigenständigem Gewicht,
das durch den zugleich darin liegenden Eingriff in das informationelle
Selbstbestimmungsrecht nicht annähernd ausgeschöpft wird.
Für alle Eingriffe, die über das Anhalten und die
Aufforderung, sich auszuweisen, hinausgehen, müssen die Schwellen
höher gelegt werden als für das Anhalten. Es muß
Anhaltspunkte dafür geben, daß der Betroffene etwas mit
organisierter grenzüberschreitender Kriminalität zu tun haben
könnte. Die Anhaltspunkte müssen um so deutlicher sein, je tiefer
der Eingriff reicht.
Diesen Anforderungen genügt nicht, daß nach § 29
Abs. 2 Satz 1 SOG M-V die zur Feststellung der Identität
erforderlichen Maßnahmen getroffen werden dürfen. Dies ist
für jeden Einzeleingriff eine notwendige, aber verfassungsrechtlich
nicht ausreichende Voraussetzung. Denn die Identitätsfeststellung darf
kein Selbstzweck sein. Jeder Einzeleingriff ist nur zulässig, wenn er
auf den Zweck der vorbeugenden Bekämpfung grenzüberschreitender
organisierter Kriminalität gerichtet ist und wenn die Aussicht, zu
diesem Ziel etwas zu erreichen, in angemessenem Verhältnis zur
Intensität des Eingriffs steht.
V.
1. Anders als für die Durchgangsstraßen durfte der
Gesetzgeber für das Grenzgebiet, die öffentlichen Einrichtungen
des internationalen Verkehrs und das Küstenmeer die Pflicht des
Einzelnen, der Polizei seine Identität zu offenbaren, festlegen, ohne
dafür ausdrücklich eine Eingriffsschwelle vorzusehen. Es ist
nicht zu beanstanden, daß die Polizei befugt ist, an diesen
Örtlichkeiten jemanden anzuhalten (§ 29 Abs. 3 Satz 1 SOG
M-V) und von ihm zu verlangen, Angaben zu seiner Person zu machen sowie
mitgeführte Ausweispapiere auszuhändigen (§ 29 Abs. 2
Satz 2 SOG M-V).
Diese Örtlichkeiten sind durch die Nähe zu
Grenzübertritten definiert. Unerlaubter Aufenthalt ist zumeist mit
einer unerlaubten Einreise verbunden, bei der die Örtlichkeiten
passiert werden. Ebenso werden sie berührt, wenn Personen im
Zusammenhang mit grenzüberschreitender Kriminalität Grenzen
überqueren. Es handelt sich mithin um eine örtliche
Sondersituation, die mit derjenigen an gefährlichen und
gefährdeten Orten gemäß § 29 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 1
bis 3 SOG M-V vergleichbar ist (Waechter, aa0., S. 146). Für diese
Örtlichkeiten durfte der Gesetzgeber im Rahmen seiner
Einschätzungsprärogative die Wertung treffen, daß es in
besonderem Maße geboten ist, dem unerlaubten Aufenthalt und
vorbeugend der grenzüberschreitenden Kriminalität zu
begegnen.
Die örtliche Sondersituation als solche rechtfertigt es, jedermann
mit der Pflicht zu belasten, gegenüber der Polizei seine
Identität zu offenbaren. An den durch Grenznähe definierten
Örtlichkeiten ist es auch legitim, daß die Vorschrift zur
vorbeugenden Bekämpfung jeglicher Art von grenzüberschreitender
Kriminalität und zur Unterbindung jeglichen unerlaubten Aufenthalts
ermächtigt. Der ausdrücklichen gesetzlichen Festlegung einer
Eingriffsschwelle für das Anhalten und die Aufforderung, sich
auszuweisen, bedarf es nicht. Vielmehr genügt insoweit, daß das
Verhalten der Polizei durch dessen gesetzliche Zweckbestimmung, den
polizeilichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
(§ 15 SOG M-V) sowie durch Ausübung des Ermessens nach
sachlichen Gesichtspunkten (§ 14 Abs. 1 SOG M-V) gesteuert
wird.
2. Die Begriffe "Grenzgebiet bis zu einer Tiefe von 30 Kilometern" und
"Küstenmeer" sind hinreichend bestimmt. Das bedarf keiner weiteren
Ausführungen.
Der Begriff "öffentliche Einrichtungen des internationalen
Verkehrs" weist die rechtsstaatlich notwendige Bestimmtheit nur auf, wenn
er eng verstanden wird. Über die dem Gesetz zu diesem Begriff zugrunde
gelegten Vorstellungen ergibt sich aus den Gesetzesmaterialien nichts. Der
Gesetzgeber hat offenbar nicht in den Blick genommen, daß er
unterschiedlich verstanden werden kann und daß eine Entscheidung
für die eine oder die andere Interpretation weitreichende Folgen hat;
denn je nachdem ist der örtliche Bereich, in dem
Identitätsfeststellungen unter stark herabgestuften Voraussetzungen
vorgenommen werden können, eng oder weit.
Dem Landesverfassungsgericht ist im vorliegenden Verfahren bekannt
geworden, daß die Polizei des Landes den Begriff jedenfalls, insofern
weit auslegt, daß sie auch Binnenwasserstraßen als
öffentliche Einrichtungen des internationalen Verkehrs ansieht. Dem
kann nicht gefolgt werden. Wenn andere Verkehrswege als
Durchgangsstraßen hätten als solche unter das Gesetz fällen
sollen, hätte dies im Wortlaut zum Ausdruck kommen müssen. Die
jetzige Fassung von § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SOG M-V gibt das
nicht her. Durchgangsstraßen und öffentliche Einrichtungen sind
nebeneinander gestellt, und nicht etwa sind die Durchgangsstraßen als
ein Ausschnitt aus den öffentlichen Einrichtungen des internationalen
Verkehrs kenntlich gemacht.
Für die Anwendung der Vorschrift auf Flughäfen und
Bahnhöfen ist darauf zu verweisen, daß der Tatbestand und die
Ermessensausübung durch die gesetzliche Zweckbestimmung der
Identitätsfeststellung gesteuert sein müssen. Das kann
insbesondere dazu führen, daß die Identitätsfeststellung
nur in den Teilbereichen der Einrichtung stattfinden darf, die einen
deutlichen Bezug zu grenzüberschreitendem Verkehr aufweisen.
3. Hinsichtlich der zur Identitätsfeststellung im Gesetz
vorgesehenen Einzeleingriffe gilt jedoch dasselbe wie bei den
Durchgangsstraßen. Die Identitätsfeststellung an den durch
Grenznähe definierten Örtlichkeiten hat auch einen
Ausnahmecharakter. Wohl trifft dies nicht in solchem Umfang zu wie für
die Durchgangsstraßen; deshalb braucht für die Befugnis, der
Betroffenen anzuhalten und zur Vorlegung eines Ausweises aufzufordern,
nicht ausdrücklich eine Eingriffsschwelle festgelegt zu werden.
Andererseits ist nicht zu verkennen, daß der räumliche Bereich
weitaus größer ist als bei gefährlichen oder
gefährdeten Orten. Das gebietet, daß der Gesetzgeber auch hier
die Voraussetzungen für die Einzeleingriffe verdeutlicht.
Weitergehende Eingriffe als das Anhalten und die Aufforderung, die
Identität zu offenbaren, dürfen danach aufgrund des
§ 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SOG M-V nicht stattfinden.
Unberührt davon bleibt, daß je nach Lage des Falles die Polizei
nach anderen Befugnisnormen weitergehende Eingriffe vornehmen kann. Das
gilt insbesondere auch dann, wenn sich das Vorliegen von deren
Voraussetzungen bei Gelegenheit der eingeschränkten Kontrolle nach
§ 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SOG M-V ergibt.
VI.
Das Grundrecht der informationellen Selbstbestimmung ist nicht gewahrt,
weil der Gesetzgeber es unterlassen hat, bereichsspezifische Regelungen
über den Umgang mit den bei einer Identitätsfeststellung
gewonnenen personenbezogenen Daten zu schaffen.
1. Erkennungsdienstliche Maßnahmen für eine
Identitätsfeststellung zur Unterbindung des unerlaubten Aufenthalts
und zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten der
grenzüberschreitenden Kriminalität dürfen gegenwärtig
nicht nach § 31 SOG M-V angeordnet und durchgeführt werden.
Das folgt daraus, daß nach diesem Urteil auf Durchgangsstraßen
überhaupt keine Eingriffe zur Identitätsfeststellung nach
§ 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SOG M-V erlaubt sind und an den
übrigen in der Vorschrift genannten Örtlichkeiten nur diejenigen
nach § 29 Abs. 3 Satz 1 und Abs. 2 Satz 2 SOG M-V.
Ebenso ist gegenwärtig kein Raum, im Rahmen des § 29 Abs.
1 Satz 2 Nr. 5 SOG M-V die §§-36 ff. SOG M-V anzuwenden. Für
Durchgangsstraßen ergibt sich dies daraus, daß nach diesem
Urteil auf ihnen keine Kontrollen nach der Befugnisnorm, bei denen
personenbezogene Daten gewonnen werden könnten, durchgeführt
werden dürfen.
An den anderen in der Vorschrift genannten Örtlichkeiten ist die
Polizei befugt, personenbezogene Daten zu erheben, ohne daß sie dazu
Folgeeingriffe vornehmen darf. Die Verarbeitung und Nutzung dieser Daten
nach §§ 36 ff. SOG M-V ist ihr jedoch nur erlaubt, wenn sich
bei Gelegenheit einer auf die Unterbindung unerlaubten Aufenthalts oder die
vorbeugende Bekämpfung grenzüberschreitender Kriminalität
abzielenden Kontrolle herausstellt, daß die Voraussetzungen zum
Einschreiten nach einer anderen Befugnisnorm als § 29 Abs. 1 Satz
2 Nr. 5 SOG M-V vorlegen. Denn zu dieser Norm fehlen die hinsichtlich der
vorbeugenden Bekämpfung grenzüberschreitender Kriminalität
notwendigen bereichsspezifischen Regelungen. Daraus wiederum ergibt sich in
Anbetracht der Austauschbarkeit der beiden im Gesetz genannten Zwecke,
daß auch die zur Unterbindung des unerlaubten Aufenthalts erlangten
Daten nur nach einer anderen Befugnisnorm verarbeitet und genutzt werden
dürfen; die Voraussetzungen dafür sind etwa gegeben, wenn ein
Ausländer eine erforderliche Aufenthaltsgenehmigung nicht vorweist
oder der Verdacht entsteht, ein Ausweispapier eines Ausländers sei
gefälscht.
2. Die Befassung des Landesverfassungsgerichts mit der Verarbeitung und
Nutzung der durch eine Identitätsfeststellung nach § 29 Abs.
1 Satz 2 Nr. 5 SOG M-V erhobenen personenbezogenen Daten ist nicht deshalb
entbehrlich, weil die Landesregierung vorgetragen hat, bislang seien durch
die Polizei keine derartigen Daten gespeichert worden.
Zum einen hat demgegenüber der Landesbeauftragte für den
Datenschutz in seiner schriftlichen Stellungnahme, die er in der
mündlichen Verhandlung durch Vorlage einschlägiger Unterlagen
ergänzt hat, ausgeführt, daß die Daten der kontrollierten
Personen - jedenfalls im Zuständigkeitsbereich der Polizeidirektion
Rostock - in einer automatisierten Datei bis zu einer Dauer von drei
Monaten gespeichert werden.
Zum anderen kommt es nicht darauf an, wie die Exekutive eine Befugnis
benutzt, sondern wie sie diese ohne Verstoß gegen die Befugnisnorm
benutzen darf. Unter diesem Blickwinkel ergibt sich
selbstverständlich, daß die §§ 36 ff. SOG M-V auf
nach § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SOG M-V erlangte Daten anwendbar
sein sollen.
Das folgt aus der Systematik des Gesetzes. Die neue Befugnis tritt zu
den anderen Befugnissen nach § 29 Abs. 1 SOG M-V hinzu. Auf der
Rechtsfolgenseite gilt dasselbe wie für jene, also insbesondere auch
die nicht modifizierte Anwendbarkeit der §§ 36 ff. SOG
M-V.
Das folgt ferner aus der Natur der mit der Befugnis wahrgenommenen
Aufgabe, vorbeugend grenzüberschreitende Kriminalität zu
bekämpfen. Diese Aufgabe kann die Polizei sinnvoll nur ausüben,
wenn die im Rahmen der Identitätsfeststellungen erhobenen Daten
für einige Zeit vorrätig gehalten werden. Daß die Befugnis
ermöglichen soll, Bewegungsprofile bzw. Verhaltensmuster verschiedener
Personen anzufertigen, die bei der Erstellung von Lagebildern
unterstützend verwertet werden, legt schon die Begründung des
Regierungsentwurfs (LT-Drs. 2/2468) nahe. Danach soll die Zielrichtung der
ereignis- und verdachtsunabhängigen Kontrollen darin bestehen, mit
verstärkter polizeilicher Fahndung die Logistik
grenzüberschreitender Kriminalität auf den Transportwegen zu
zerstören. Dem entsprechen die im Erlaß des Innenministeriums
Mecklenburg-Vorpommern vom 11.05.1998 über ein polizeiliches
Maßnahmekonzept zur Wahrnehmung der neuen Befugnisse nach
§ 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SOG M-V beschriebenen Ziele. Die
Vorläufige Richtlinie des Landeskriminalamtes vom 10.09.1998 zur
Fertigung und Nutzung von Anhalte- oder Beobachtungsmeldungen in der
Landespolizei Mecklenburg-Vorpommern geht schließlich davon aus,
daß u. a. verdachtsunabhängig erhobene Daten im Rahmen
dieser Zielsetzung auch gespeichert werden. Wird aber dieser Zweck
verfolgt, ist zu seiner Erreichung eine längerfristige,
kontinuierliche Verarbeitung und Nutzung der Daten erforderlich.
3. Regelungen über die Verarbeitung und Nutzung von
personenbezogenen Daten, die bei einer Identitätsfeststellung zur
vorbeugenden Bekämpfung grenzüberschreitender Kriminalität
gewonnen worden sind, müssen den Besonderheiten dieses spezifischen
Bereichs Rechnung tragen. Aus der Natur der polizeilichen Aufgabe -
vorbeugend, also im Hinblick auf mögliche künftige Ereignisse
grenzüberschreitende Kriminalität zu bekämpfen - ergibt
sich, daß die gewonnenen personenbezogenen Daten
regelmäßig auf eine gewisse Dauer verarbeitet und genutzt
werden. Das zwingt dazu, die Löschung der Daten bereichsspezifisch in
der Weise zu regeln, daß sowohl diesem öffentlichen Interesse
als auch dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung Rechnung getragen
wird. Die Daten werden in dem Sinne auf Vorrat gesammelt, daß sie
vornehmlich künftig Verwendung finden. Diese Sammlung von Daten ist
nicht schon deshalb, weil sie "auf Vorrat" geschieht, verfassungswidrig.
Nicht daß Daten vorrätig gehalten werden, begründet schon
einen Verfassungsverstoß, sondern erst der Umstand, daß die
Sammlung keinen bestimmten oder bestimmbaren Zweck hat (BVerfGE 65, 1, 46;
Bäumler in Handbuch, J Rn. 35). Verhindert werden soll eine
Informationssammlung zur Prophylaxe ohne jeglichen konkreten oder
bestimmbaren Zweck (Waiden, Zweckbindung und Änderung präventiv
und repressiv erhobener Daten im Bereich der Polizei, S. 75) . Die
vorbeugende Bekämpfung grenzüberschreitender Kriminalität
ist ein hinreichender Zweck.
Die personenbezogenen Daten werden bereits im Vorfeld einer Gefahr
verarbeitet und genutzt. Daher ist es dringlich, den Personenkreis, von dem
personenbezogene Daten verwendet werden dürfen, in einem gesetzlichen
Tatbestand zu umschreiben. Dabei ist zu regeln, welche "Verdachtsschwelle"
erreicht sein muß. Ferner ist besondere Aufmerksamkeit darauf zu
richten, ob und unter welchen Voraussetzungen personenbezogene Daten auch
solcher Personen verarbeitet und genutzt werden dürfen, bei denen
selbst es keine Anzeichen für eine Verwicklung in
grenzüberschreitende Kriminalität gibt, die aber zum Umfeld einer
solchen Person gehören (können). Hier bedarf es einer
äußerst sorgfältigen Abwägung der gegenseitigen
Belange, da die gesetzliche Ermächtigung zu informationellen
Eingriffen gegen unbeteiligte Dritte eine Grenzlinie rechtsstaatlichen
Polizeirechts markiert (SächsVerfGH, aa0., S. 349).
Im Hinblick auf die der Polizei eingeräumte weitgehende Befugnis
zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten der
grenzüberschreitenden Kriminalität sind bereichsspezifische
Vorschriften über die Zweckbindung mit eventuellen Verboten der
Weitergabe und der Verwertung erforderlich.
In diesem Sachbereich ist der Grundrechtsschutz durch Verfahren von
hoher Bedeutung. Dabei wird insbesondere zu erwägen sein, den
Datenschutzbeauftragten verstärkt zu beteiligen.
4. Es ist nicht Aufgabe des Landesverfassungsgerichts, dem Gesetzgeber
im einzelnen eine Handlungsanleitung darüber zu geben, wie die
Regelungen auszugestalten sind. Auf folgendes ist indessen hinzuweisen:
a) Nach § 31 Abs. 3 Satz 1 SOG M-V sind bei einer
Identitätsfeststellung gewonnene erkennungsdienstliche Unterlagen dann
nicht zu vernichten, wenn ihre weitere Verarbeitung und Nutzung für
Zwecke nach Abs. 1 Satz 2 oder nach anderen Rechtsvorschriften
zulässig ist. Die Nennung der "anderen Rechtsvorschriften" darf kein
Einfallstor dafür sein, daß aufgrund anderer Befugnisnormen
erlangte Daten ohne weiteres für den Zweck der vorbeugenden
Bekämpfung von Straftaten umgewidmet werden (so aber Krech/Roes,
Sicherheits- und Ordnungsrecht des Landes Mecklenburg-Vorpommern, 1998,
§ 31 SOG M-V, Rn. 4) .
b) Nach § 36 Abs. 1 Satz 2 SOG M-V ist eins erneute
Verarbeitung oder Nutzung personenbezogener Daten zu einem Zweck, für
den sie nicht erhoben worden sind, zulässig, soweit eine erneute
Erhebung der personenbezogenen Daten zu diesem Zweck mit vergleichbaren
Mitteln zulässig ist. Eine Umwidmung zum Zweck, der vorbeugenden
Bekämpfung grenzüberschreitender Kriminalität kann nicht
generell nach dieser Vorschrift zulässig sein. Das würde dem
Ausnahmecharakter der inhaltlich weitgehenden und örtlich
beschränkten Eingriffsbefugnis nicht in der gebotenen Weise Rechnung
tragen.
c) Eine Übermittlung von Daten zwischen Polizei und
Ordnungsbehörden darf nicht in dem Umfang vorgesehen werden, wie es in
der allgemeinen Vorschrift des § 40 SOG M-V bestimmt ist. Die
Befugnis zur vorbeugenden Bekämpfung grenzüberschreitender
Kriminalität ist spezifisch der Polizei in der Weise gegeben worden,
daß sie aus übergeordneten Interessen der Allgemeinheit
ausnahmsweise nur geringere Eingriffsschwellen als gemeinhin einzuhalten
braucht. Der Übermittlung von in Wahrnehmung dieser Befugnis
gewonnenen Daten müssen Grenzen gesetzt werden.
d) Nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SOG M-V kann die Polizei
personenbezogene Daten anderer als der in §§ 69, 70 und 27
Abs. 3 Nr. 1 SOG M-V genannten Personen abgleichen, wenn tatsächliche
Anhaltspunkte dafür bestehen, daß dies zur Erfüllung
polizeilicher Aufgaben erforderlich erscheint. Diese Vorschrift
ermächtigt nicht zu einem routinemäßigen Abgleich. Vielmehr
müssen bestimmte Umstände die Prognose zulassen, daß sich
durch den Abgleich Erkenntnisse ergeben, die benötigt werden, um eine
konkrete polizeiliche Aufgabe erfüllen zu können
(Heise/Tegtmeier, Polizeigesetz Nordrhein-Westfalen, 7. Auflage 1990,
§ 25 Rn. 5; Kay/Böcking, Polizeirecht Nordrhein-Westfalen,
l. Auflage 1992, Rn. 196; Meitner, Hessisches Gesetz über die
öffentliche Sicherheit und Ordnung, 5. Auflage 1993, § 25
Rn. 5). Es müssen also Anhaltspunkte für eine konkrete Gefahr
für die öffentliche Sicherheit gegeben sein. In dieser Auslegung
kann die Vorschrift auch bezüglich der vorbeugenden Bekämpfung
grenzüberschreitender Kriminalität angewendet werden.
Nach § 43 Abs. 1 Satz 3 SOG M-V ist der Abgleich mit dem
Fahndungsbestand ohne weiteres zulässig, wenn die Daten
gesetzmäßig erlangt worden sind (Kay/Böcking, aa0., Rn.
197). Das dürfte auch für die bei der vorbeugenden
Bekämpfung von Straftaten der grenzüberschreitenden
Kriminalität erlangten Daten zulässig sein, wobei aber die
Fahndung als repressive Tätigkeit der Polizei nicht das
verhaltenssteuernde Moment bei einer Identitätsfeststellung sein
darf.
e) Zur Löschung der Daten ist bereits oben gesagt worden, daß
eine bereichsspezifische Regelung erforderlich ist. § 45 Abs. 2
Satz 1 Nr. 2 SOG M-V, wonach Daten zu löschen sind, wenn aus
Anlaß einer Einzelfallbearbeitung festgestellt wird, daß ihre
Kenntnis zur Erfüllung der in der Zuständigkeit der speichernden
Stelle liegenden Aufgabe nicht mehr erforderlich ist, genügt
nicht.
D.
I.
Da die gesetzliche Bestimmung des § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SOG
M-V in dem im Tenor bezeichneten Umfang gegen die Landesverfassung
verstößt, hat das Landesverfassungsgericht gemäß
§ 56 LVerfGG insoweit ihre Nichtigkeit festzustellen. Die
Alternative, an Stelle der Nichtigkeit die Unvereinbarkeit eines Gesetzes
mit der Landesverfassung auszusprechen, sieht das
Landesverfassungsgerichtsgesetz nicht vor.
Das Landesverfassungsgericht hat dennoch erwogen, ob es, statt die
Nichtigkeit festzustellen, die Vorschrift für mit der Landesverfassung
unvereinbar erklären und während einer Übergangszeit ihre
Anwendung mit bestimmten Maßgaben gestatten könne. Daran sieht
das Gericht sich jedoch gehindert, weil das Landesrecht nur die
Feststellung der Nichtigkeit vorsieht und Voraussetzungen, unter denen
allenfalls davon abgewichen werden dürfte, nicht vorliegen.
Das Bundesverfassungsgericht hat, obwohl nach § 95 Abs. 3
BVerfGG für die Stattgabe einer Verfassungsbeschwerde gegen ein Gesetz
nur die Nichtigerklärung vorgesehen ist, vielfach nicht diese
Rechtsfolge, sondern die Unvereinbarkeit des Gesetzes mit dem Grundgesetz
ausgesprochen (BVerfGE 8, 1, 19 f.; 33, 303, 347; 57, 335, 346; 61, 319,
356 f.; 62, 256, 289; 82. 60, 97; 87, 153, 180 f.). In dem genannten Urteil
vom 14.07.1999 hat es für die Erklärung als nur unvereinbar
bereits genügen lassen, daß ein Gesetz durch Eingrenzungen eine
mit dem Grundgesetz vereinbare Fassung erhalten kann oder daß die
Norm lediglich, ergänzungsbedürftig ist (S. 100, 102, 104, 119 =
EuGRZ 1999, 389, 410, 411, 414). Diese zunehmend gewählte
Entscheidungsformel des Bundesverfassungsgerichts ist gerechtfertigt, wie
die §§ 79 Abs. 1 und 93 c Abs. 2 Satz 3 BVerfGG zeigen.
Die Verfassungsgerichtsbarkeit in Mecklenburg-Vorpommern ist auf dem
Hintergrund der Verfassungsgerichtsbarkeit, wie sie sich in der
Bundesrepublik vor dem Beitritt der neuen Länder herausgebildet hatte,
eingeführt worden. Insbesondere hat die Ausübung von
Gerichtsbarkeit durch das Bundesverfassungsgericht zum Vorbild gedient.
Deshalb sind auch in der Rechtsprechnung des Bundesverfassungsgerichts
entwickelte Anförderungen ausdrücklich in das
Landesverfassungsgerichtsgesetz aufgenommen worden (LT-Drs. 1/4132 S. 27,
37, 46 und passim). Das trifft beispielsweise zu für die Normierung in
§ 51 Abs. 1 LVerfGG, daß bei der Verfassungsbeschwerde
gegen ein Gesetz behauptet werden muß, "unmittelbar" in Grundrechten
verletzt zu sein.
Der Landesgesetzgeber hat Entsprechendes jedoch gerade nicht getan,
soweit es den Ausspruch bei Verstoß eines Gesetzes gegen die
Landesverfassung betrifft. In § 56 LVerfGG ist für die
stattgebende Entscheidung über die Verfassungsbeschwsrde gegen ein
Landesgesetz einzig die Feststellung der Nichtigkeit vorgesehen. Ebenso ist
nach § 63 Abs. 3 LVerfGG zu verfahren, wenn auf
Verfassungsbeschwerde gegen einen sonstigen Hoheitsakt sich ein Gesetz als
verfassungswidrig erweist. Dabei hat der Gesetzgeber in bewußter
Abkehr von § 95 Abs. 3 Satz 1 BVerfGG diese Feststellung als nur
deklaratorisch gewertet, da die Nichtigkeit durch den Verstoß selbst
hervorgerufen werde und nicht erst durch den Ausspruch des
Verfassungsgerichts entstehen könne (LT-Drs. 1/4132, S. 47, 53).
In den Landesverfassungsgerichtsgesetzen der anderen ostdeutschen
Länder - ausgenommen Sachsen - hingegen ist der Ausspruch der
Unvereinbarkeit mit der Verfassung ausdrücklich, neben dem Ausspruch
der Nichtigkeit vorgesehen. Das ist in den folgenden - sich jeweils auf die
Verfassungsbeschwerde beziehenden - Vorschriften geschehen: § 54
Abs. 4 des Berliner Gesetzes über den Verfassungsgerichtshof,
§ 50 Abs. 4 des Gesetzes über das Verfassungsgericht des
Landes Brandenburg, § 50 iVm. § 41 des
Sachsen-Anhaltinischen Gesetzes über das Landesverfassungsgericht und
§ 37 Abs. 4 des Gesetzes über den Thüringer
Verfassungsgsrichtshof. Hingegen folgt nach § 31 Abs. 3 des
Gesetzes über den Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen aus
der Stattgabe einer Verfassungsbeschwerde gegen ein Gesetz dessen
Erklärung für nichtig; § 79 BVerfGG gilt entsprechend.
Nach §§ 23 und 25 Abs. 1 ist bei der abstrakten und der
konkreten Normenkontrolle ebenfalls das Gesetz für nichtig zu
erklären.
Dadurch, daß in Mecklenburg-Vorpommern nach dem Gesetz die
Nichtigkeit eines verfassungswidrigen Gesetzes nicht zu erklären,
sondern festzustellen ist und ein anderer Ausspruch nicht vorgesehen ist,
hat der Gesetzgeber dem Landesverfassungsgericht äußerste
Zurückhaltung aufgegeben. Das Gericht ist allenfalls in eng begrenzten
Ausnahmesituationen befugt, einer verfassungswidrigen Norm mit
Maßgaben vorübergehend noch einen Anwendungsbereich zu lassen
und damit der Sache nach an Stelle des Gesetzgebers eine Norm zu setzen.
Das kann nur in Betracht kommen, wenn es aus überragenden Gründen
des Gemeinwohls unerläßlich, ist.
Solche Gründe können gegeben sein, wenn mit dem ersatzlosen
Fortfall einer Norm ein Zustand einträte, welcher der Verfassung
ferner stünde als bei weiterer (ggf. eingeschränkter) Anwendung
des Gesetzes. Das ist auch ein Ansatz der einschlägigen Rechtsprechung
des Bundesverfassungsgerichts gewesen (BVerfGE 8, 1, 19 f.; 37, 342, 361;
40, 296, 329; 56, 192, 215; 72, 330, 333).
Der Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen hat in seinem Urteil
vom 14.05.1996 (LVerfGE 4, 303) zwei Normen des Sächsischen
Polizeigesetzes für lediglich unvereinbar mit der Verfassung
erklärt und ihre vorläufige weitere Anwendung mit Maßgaben
zugelassen. Er hat das damit begründet, daß anderenfalls der
Polizei die Befugnis zur Datenerhebung mit besonderen Mitteln, insbesondere
aus Wohnungen, vollständig entzogen wäre, obwohl solche
Regelungen für den Rechtsgüterschutz und die Aufrechterhaltung
der öffentlichen Sicherheit verfassungsrechtlich erforderlich seien;
dieser Zustand wäre von der Verfassung weiter entfernt als der
bisherige (aaO., S. 398).
Wie das Landesverfassungsgericht eine entsprechende Situation für
Mecklenburg-Vorpommern beurteilen würde, steht hier nicht zur
Entscheidung. Jedenfalls ist es nicht für das Gemeinwohl
unerläßlich, bis zu einer eventuellen Neuregelung durch den
Gesetzgeber der Polizei zusätzliche Befugnisse der
Identitätsfeststellung zur Unterbindung des unerlaubten Aufenthalts
und zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten der
grenzüberschreitenden Kriminalität zu geben. Auch in anderen
Bundesländern kann deren Polizei weiterhin nachhaltig tätig
werden, ohne daß dort eine Regelung, die der hier beanstandeten
entspricht, geschaffen worden wäre. Die Funktion der Polizei im Lande
wird nicht in Frage gestellt. Ihr steht weiterhin ein umfängliches und
differenziertes Instrumentarium zur Verfügung, um ihre Aufgaben zu
erfüllen. Wenn ein Verdacht sich bildet oder verdichtet, kann nach
anderen Befugnisnormen des Sicherheits- und Ordnungsgesetzes,
gegebenenfalls auch der Strafprozeßordnung, gehandelt werden.
II.
Das Verfahren ist nach § 32 Abs. 1 LVerfGG kostenfrei.
Soweit die Verfassungsbeschwerde sich als begründet erwiesen hat,
sind gemäß § 33 Abs. 1 LVerfGG den
Beschwerdeführern ihre notwendigen Auslagen durch das Land
Mecklenburg-Vorpommern zu erstatten.
Soweit die Verfassungsbeschwerde keinen Erfolg hat, ordnet das
Landesverfassungsgericht die Erstattung der notwendigen Auslagen der
Beschwerdeführer nach § 33 Abs. 2 LVerfGG an. Die
Verfassungsbeschwerde insgesamt hat zur Klärung wichtiger
verfassungsrechtlicher Fragen geführt. Überdies ist der Umfang
des Unterliegens der Beschwerdeführer gering.
E.
Nach § 28 Abs. 2 LVerfGG hat dieses Urteil Gesetzeskraft
soweit die Nichtigkeit des § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SOG M-V
festgestellt wird. Der Ministerpräsident hat die Entscheidungsformel
(I.) im Gesetz- und Verordnungsblatt für Mecklenburg-Vorpommern zu
veröffentlichen.
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