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Beschluss des Verwaltungsgerichts Karlsruhe über die Aufnahme von
Abbildungen eines Wohnhauses in eine Gebäude-Bilddatenbank (CityServer)
VERWALTUNGSGERICHT KARLSRUHE
Beschluss
(Az.: 2K 2911/99, vom 1. Dezember 1999)
In der Verwaltungsrechtssache
Firma Tele-Info Verlag GmbH, -Antragstellerin-
prozessbevollmächtigt: Rechtsanwälte B. R. u.a.,
gegen
Stadt Karlsruhe, vertr.d.d. Oberbürgermeister - Amt für Bürgerservice und
Sicherheit -, Kaiserallee 8, 76124 Karlsruhe, -Antragsgegnerin-
wegen
Untersagungsverfügung
hier: Antrag gem. § 80 Abs. 5 VwGO
hat das Verwaltungsgericht Karlsruhe - 2. Kammer - am 01. Dezember 1999 durch den Vorsitzenden
Richter am Verwaltungsgericht E. und die Richter am Verwaltungsgericht B. und Dr.S.
beschlossen:
1. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen die
Untersagungsverfügung der Antragsgegnerin vom 22.09.1999 wird wiederhergestellt.
2. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Streitwert wird auf 4.000,- DM festgesetzt.
GRÜNDE
I.
Die Antragstellerin, ein in Niedersachsen ansässiges Verlagsunternehmen, das unter anderem
digitale Verzeichnisse der Telefonanschlüsse in der Bundesrepublik Deutschland auf CD-ROM
vertreibt, befasst sich seit einiger Zeit mit dem Aufbau einer elektronischen Häuser- und
Gebäudekarte. Zu diesem Zweck lässt sie bundesweit durch mehrere mit sechs bzw. acht
automatischen Präzisionskameras ausgerüstete Kleintransporter vom öffentlichen
Straßenraum aus digitale Abbildungen des Straßenverlaufs sowie der angrenzenden
Gebäudeansichten aufnehmen, wobei diesen Abbildungen jeweils die geographische Position
(geographische Länge, Breite und Höhe) zugeordnet wird, von der aus das Bild aufgenommen
wurde. Die Aufnahmefahrzeuge sind mit Satelliten-Receivern ausgestattet, die insbesondere die von
den amerikanischen GPS-Satelliten ausgestrahlten Signale aufzeichnen und - nach einer aufwendigen
Nachbearbeitung - auf diese Weise eine möglichst punktgenaue Bestimmung des jeweiligen
Kamerastandortes ermöglichen. Die elektronisch festgehaltenen Bilder (30-50 pro Sekunde)
werden auf der Festplatte eines in dem Pkw installierten Servers gespeichert. In einem weiteren
Verarbeitungsschritt werden die auf diese Weise den dazugehörigen geoterrestrischen Daten
verbundenen Bildsequenzen - soweit möglich - einem bestimmten Straßennamen der
jeweiligen Gemeinde zugeordnet. Der Betrachter der elektronischen Häuser- und
Gebäudekarte sieht fortlaufende bewegte Bilder, die von der Fahrbahn die Häuserfronten
rechts und links der Straße zeigen, und den Stadtplan, auf dem durch ein Symbol markiert
wird, in welchem Teil der Straße sich der Betrachter befindet. An einigen Häusern ist
die Hausnummer zu erkennen. Es besteht die Möglichkeit, die fortlaufenden Bilder anzuhalten
und ein bestimmtes Haus zu vergrößern, so dass die Häuserfront und die Hausnummer,
soweit sie aufgenommen wurde, erkennbar sind. Eine gezielte Verknüpfung einzelner
Gebäudeansichten mit den dazugehörigen Hausnummern erfolgt hingegen nicht. So ist es
insbesondere nicht möglich, Straße und Hausnummer einzugeben und auf diese Weise
automatisiert das Bild eines einzelnen Hauses auszuwerten.
Bislang hat die Antragstellerin auf diese Weise die Straßenzüge in insgesamt 17 der
größten (Berlin, Hamburg, München, Köln, Düsseldorf, Frankfurt,
Stuttgart, Leipzig, Hannover, Magdeburg und Nürnberg) bzw. touristisch besonders interessanten
(Weimar, Heidelberg, Würzburg, Potsdam, Regensburg und Schwerin) deutschen Städte
erfasst. Nach ihren Planungen sollen bis in das Jahr 2001 sämtliche deutschen Städte mit
mehr als 20.000 Einwohnern in die unter der Handelsbezeichnung "Cityserver" vertriebene
elektronische Häuser- und Gebäudekarte aufgenommen werden. Als
Verwendungsmöglichkeiten werden u.a. der Einsatz durch Polizei, Feuerwehr, Rettungsdienste, in
der Stadt- und Verkehrsplanung, durch Zustelldienste und Speditionen, Pkw-Pilotsysteme, die
Scoring-Unterstützung für Banken, das Risk-Assessment bei Versicherungen und die
Verwendung durch Versorgungsunternehmen genannt. Die Antragstellerin hat aber auch schon ein 11
CD-ROM umfassendes digitales Telefonverzeichnis herausgebracht, bei dem jedem Anschlussinhaber ein
Kartenausschnitt zugeordnet ist, aus dem sich die ungefähre Lage des Anschlusses im jeweiligen
Stadtbild ersehen lässt, wobei dieser Kartenausschnitt wiederum bezüglich 10 deutsche
Städte mit den vom jeweiligen Standort aus aufgenommenen Straßen- bzw.
Gebäudeansichten verbunden ist.
Mit Schreiben vom 04.08.1999 teilte die Antragsgegnerin der Antragstellerin mit, dass die von
ihr beabsichtigte Nutzung des öffentlichen Straßenraumes im Stadtgebiet Karlsruhes zum
Zwecke des Fotografierens von Gebäuden eine genehmigungspflichtige Sondernutzung darstelle,
eine Sondernutzungserlaubnis jedoch nicht erteilt werden könne. Hierauf ließ die
Antragstellerin durch ihre Prozessbevollmächtigten mit Schriftsatz vom 11.08.1999 entgegnen,
die Nutzung des öffentlichen Straßenraums sei als Gemeingebrauch zu qualifizieren, so
dass eine Sondernutzungserlaubnis nicht beantragt werde.
Mit Verfügung vom 22.09.1999 untersagte die Antragsgegnerin der Antragstellerin vorbeugend,
die Straßen, Wege und Plätze der Gemeinde der Stadt Karlsruhe mit Fahrzeugen zu nutzen,
welche mit Digitalkameras ausgerüstet sind, um Aufnahmen der Häuserfassaden der an die
Straßen angrenzenden Gebäude zu machen. Gleichzeitig ordnete sie die sofortige
Vollziehung dieser Verfügung an, da es sich bei dem Vorhaben der Antragstellerin um einen
besonders publikumsintensiven Vorgang handele, der sich direkt im Straßenverkehr abspiele.
Außerdem würden die Belange anderer Straßenverkehrsteilnehmer sowie die Interessen
der Anlieger tangiert werden, die kein Interesse daran haben könnten, dass ihre
Grundstücke gegen ihren Willen fotografiert werden.
Über den hiergegen am 08.10.1999 von der Antragstellerin erhobenen Widerspruch ist bislang
noch nicht entschieden.
Mit Schriftsatz vom 08. 10.1999, bei Gericht eingegangen am 11.10. 1999, hat die Antragstellerin
um Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes nachgesucht und zur Begründung im Wesentlichen
Folgendes ausgeführt:
Die von der Antragsgegnerin angenommene Sondernutzung liege nicht vor und schützenswerte
straßenrechtliche Belange von Bürgern würden durch das Vorhaben weder betroffen
noch beschränkt. Die zum Einsatz kommenden Fahrzeuge bewegten sich im öffentlichen
Verkehrsraum mit normaler, den örtlichen Verkehrsverhältnissen angepasster
Geschwindigkeit unter Beachtung sämtlicher Vorschriften der Straßenverkehrsordnung.
Aufgrund der Verwendung moderner automatischer Kameratechnik sei dabei während des
Erfassungsvorganges weder ein Fahren mit einer im Vergleich zum übrigen Verkehr reduzierten
Geschwindigkeit, geschweige denn ein Anhalten zum Zwecke des Fotografierens, oder eine sonstwie
geartete Behinderung anderer Verkehrsteilnehmer erforderlich. Nach dem äußeren
Erscheinungsbild der Verkehrsteilnahme bestehe danach kein Unterschied zwischen der von ihr
geplanten Nutzung des öffentlichen Straßenraumes gegenüber der Nutzung durch die
übrigen Verkehrsteilnehmer. Auch von der inneren Willensrichtung her stelle diese Form der
Verkehrsteilnahme keine abweichende Straßennutzung gegenüber dem übrigen
gewerblichen Verkehr dar. Nach Verhalten, Ausstattung und Art der Einsatzfahrzeuge würden
andere Verkehrsteilnehmer auf diese überhaupt nicht aufmerksam werden. Im Übrigen
nähmen in allen deutschen Städten und Gemeinden täglich Fahrzeuge mit gewerblichem
Interesse am Straßenverkehr teil, um Bildmaterial unterschiedlichster Art von
Örtlichkeiten zu erfassen. Das gelte nicht nur für Fahrzeuge, sondern auch für
Fotografen und Kameramänner, und sei im Rahmen einer fortgeschrittenen Mediengesellschaft und
damit verbundener Bildberichterstattungen ein täglicher, verkehrsüblicher Vorgang. Die
hier geplante Maßnahme, einen Straßenverlauf und seine gesamte Infrastruktur visuell
für Leitsysteme aller Art sowie Planungssysteme visuell zu erschließen, stehe dem
Gemeingebrauch daher nicht entgegen und behindere denselben auch nicht. Darüber hinaus werde
auch kein Bürger in seinem informationellen Selbstbestimmungsrecht und in seinem
Persönlichkeitsrecht durch das Bildmaterial verletzt, weil dieses keinerlei
Rückschlüsse auf persönliche oder gar intime Verhältnisse zulasse. Ebenso wenig
führten die Aufnahmen zur Verletzung datenschutzrechtlicher Bestimmungen, was die
zuständige Landesdatenschutzbehörde bereits festgestellt habe. Schließlich sei zu
erwähnen, dass man - ohne Anerkennung einer Rechtspflicht - jedem Hauseigentümer einen
Löschungsanspruch eingeräumt habe, individuelle Belange in Bezug auf einzelne Objekte
daher durchaus berücksichtigt würden.
Die Antragstellerin beantragt,
die aufschiebende Wirkung ihres gegen die Verfügung der Antragsgegnerin vom 22.09.1999
erhobenen Widerspruchs wiederherzustellen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung macht sie im Wesentlichen Folgendes geltend:
Bei dem Vorhaben der Antragstellerin handele es sich um eine Sondernutzung, da die Straßen
des Stadtgebietes ausschließlich zu dem Zweck genutzt werden sollen, Aufnahmen der
Häuserfassaden der an die Straßen angrenzenden Gebäude zu machen. Ein Interesse,
die Straße im Rahmen ihres Widmungszweckes, nämlich nur zum Befahren, zu benutzen, sei
nicht vorhanden. Das Befahren sei insofern allenfalls ein Nebenzweck. Darüber hinaus
müsse davon ausgegangen werden, dass die Aufnahmevorgänge mit einem ständigen Halten
und Wiederanfahren der Fahrzeuge einhergehen. Der Ablenkungseffekt für andere
Verkehrsteilnehmer sei insofern ebenfalls als nicht gering zu veranschlagen. Entscheidend für
die Qualifizierung als Sondernutzung sei jedoch die Nutzung der Fahrzeuge als "fahrbares Stativ",
woraus sich ergebe, dass die wirtschaftliche Tätigkeit im Vordergrund der Straßennutzung
stehe. Wirtschaftliche und gewerbliche Tätigkeiten, bei denen ein Verkehrsinteresse nicht
vorhanden oder allenfalls nebensächlich ist, fielen jedoch nicht mehr unter den
Gemeingebrauch. Dabei komme es nicht darauf an, dass sich die Einsatzfahrzeuge der Antragstellerin
bei Benutzung der Straßen verkehrsgerecht verhalten; entscheidend sei vielmehr die Motivation
des Verkehrsteilnehmers, die vorliegend überwiegend wirtschaftlich geprägt sei. Damit sei
die Antragstellerin verpflichtet, vor der beabsichtigten Nutzung eine Sondererlaubnis einzuholen.
Die vorläufige Nutzungsuntersagung sei die einzige geeignete, erforderliche und angemessene
Maßnahme, die verhindere, dass die Antragstellerin ihr bereits angekündigtes Vorhaben
ohne Erlaubnis durchführe. Dabei werde nicht verkannt, dass hierdurch das Recht der
Antragstellerin aus Art. 12 GG eingeschränkt werde. Im Hinblick darauf, dass bei
Nichteinschreiten die vielfache Verletzung des ebenfalls grundrechtlich geschützten Rechts auf
informationelle Selbstbestimmung der Einwohner der Stadt Karlsruhe erfolgte, sei die
Untersagungsverfügung jedoch die richtige Ermessensentscheidung gewesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf
den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsakten verwiesen, die zum Gegenstand der
Kammerberatung gemacht worden sind.
II.
Der Antrag ist nach § 80 Abs.5 VwGO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Die
Untersagungsverfügung der Antragsgegnerin vom 22.09.1999, gegen die sich der -rechtzeitig
erhobene - Widerspruch der Antragstellerin vom 08.10.1999 richtet, ist sofort vollziehbar, da die
Antragsgegnerin die sofortige Vollziehung der Verfügung gemäß § 80 Abs.2 Nr.4
VwGO angeordnet hat.
Der Antrag hat auch in der Sache Erfolg.
Die in einem Verfahren nach § 80 Abs.5 VwGO zu treffende gerichtliche Entscheidung ergeht
im Wege einer Interessenabwägung. Abzuwägen sind das Interesse der Antragstellerin an der
Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihres Rechtsbehelfs (Suspensivinteresse) und das
besondere Interesse der Antragsgegnerin an der sofortigen Vollziehung des angefochtenen
Verwaltungsaktes (Vollziehungsinteresse). Das Suspensivinteresse findet seine Grundlage in §
80 Abs.1 VwGO, das Vollziehungsinteresse ist im Falle der behördlichen Anordnung der
sofortigen Vollziehung nach § 80 Abs.2 S.1 Nr.4 VwGO im Einzelfall konkret festzustellen. Das
Gewicht dieser gegenläufigen Interessen wird entweder durch die summarisch zu prüfenden
Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache (Abwägung aufgrund summarischer
Erfolgsprüfung) oder durch die voraussichtlichen Folgen des Suspensiveffekts einerseits und
der sofortigen Vollziehung andererseits (Folgenabwägung) bestimmt. Bei der Abwägung
aufgrund summarischer Erfolgsprüfung gilt nach ständiger verwaltungsgerichtlicher
Rechtsprechung, dass das Suspensivinteresse umso größeres Gewicht hat, je mehr der
Rechtsbehelf Aussicht auf Erfolg hat, und dass umgekehrt das Vollziehungsinteresse umso mehr
Gewicht hat, je weniger Aussicht auf Erfolg des Rechtsbehelfs besteht. Ist der angefochtene
Verwaltungsakt offensichtlich rechtswidrig oder bestehen ernstliche Zweifel an seiner
Rechtmäßigkeit, ist dem Antrag nach § 80 Abs.5 VwGO regelmäßig
stattzugeben. Erweist sich der Verwaltungsakt bei summarischer Prüfung hingegen als
offensichtlich rechtmäßig, ist der Antrag nach § 80 Abs.5 VwGO
regelmäßig abzulehnen. Diese nur die gerichtliche Abwägung der gegenläufigen
Interessen betreffenden Grundsätze sind jedoch von der auch im Verfahren nach § 80 Abs.5
VwGO gebotenen - vorrangigen - Prüfung zu unterscheiden, ob überhaupt ein in die
Abwägung einstellbares Vollziehungsinteresse im Sinne von § 80 Abs.2 VwGO besteht, das
eine Ausnahme von dem Grundsatz der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs.1 VwGO rechtfertigt.
Ist das nicht schon kraft Gesetzes der Fall (§ 80 Abs.2 S.1 Nr. 1-3 und S.2 VwGO) muss das
Vollziehungsinteresse im Einzelfall entsprechend den Anforderungen nach § 80 Abs.2 8.1 Nr.4
VwGO konkret festgestellt werden, wobei die aufgrund summarischer Erfolgsprüfung gewonnene
gerichtliche Erkenntnis, dass der Verwaltungsakt offensichtlich rechtmäßig ist, als
solche kein Vollziehungsinteresse in diesem Sinne begründet (vgl. VGH Bad.-Württ, Beschl.
v. 13.03.1997 - 13 S 1132/96 - m.w. Nachw.).
Die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage nach §80 Abs.1 VwGO ist ein
Wesensmerkmal des in der Verwaltungsgerichtsordnung geregelten Rechtsschutzes. Sie tritt
regelmäßig allein aufgrund der Einlegung des Rechtsbehelfs ein, ohne dass weitere
Voraussetzungen erfüllt sein müssen. Insbesondere ist es für den Eintritt des
Suspensiveffekts unerheblich, ob der Rechtsbehelf in der Sache begründet ist. Folglich ist
insoweit auch unerheblich, ob die Unbegründetheit des Rechtsbehelfs oder die
Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bei summarischer Prüfung
offensichtlich ist. Auch der voraussichtlich unbegründete Widerspruch gegen einen als
offensichtlich rechtmäßig erkannten Verwaltungsakt hat nach § 80 Abs.1 VwGO
aufschiebende Wirkung. Die aufschiebende Wirkung entfällt auch dann "nur" unter den in §
80 Abs.2 VwGO geregelten Voraussetzungen. Dementsprechend erfordert die Anordnung nach § 80
Abs.2 S.1 Nr.4 VwGO ein besonderes Interesse gerade an der sofortigen Vollziehung des
Verwaltungsaktes, das über das allgemeine öffentliche Interesse an der Herstellung
rechtmäßiger Zustände, wie es jedem Verwaltungsakt innewohnt, hinausgeht und die
Vollziehung des Verwaltungsaktes schon vor dem gesetzlichen Ende der aufschiebenden Wirkung (vgl.
§ 80b VwGO) erfordert. Das schließt allerdings nicht aus, dass sich dieses
Vollziehungsinteresse im Einzelfall - auch - aus dem allgemeinen Erlassinteresse ergibt bzw. mit
diesem identisch ist, etwa wenn bei Maßnahmen der Gefahrenabwehr die begründete
Besorgnis besteht, die mit dem Verwaltungsakt bekämpfte Gefahr werde sich bereits vor
Abschluss des Hauptsacheverfahrens realisieren, oder wenn ein Verwaltungsakt ohne sofortige
Vollziehung seinen Zweck verfehlt. Diese Maßstäbe gelten auch für die gerichtliche
Entscheidung im Verfahren nach § 80 Abs.5 VwGO, denn dieses Verfahren ist in das gesetzliche
Regel-Ausnahme-System nach § 80 Abs.1 und 2 VwGO eingebunden und ergänzt es. Das Gericht
überprüft, ob ein Vollziehungsinteresse besteht und ob dieses oder das Suspensivinteresse
des Antragstellers größeres Gewicht hat. Die gerichtliche Kontrolle schließt im
Falle des Wegfalls der aufschiebenden Wirkung infolge einer behördlichen Anordnung der
sofortigen Vollziehung nach §80 Abs.2 S.1 Nr.4 VwGO mithin die Prüfung der materiellen
Voraussetzungen nach dieser Vorschrift ein. Sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt, ist der
Wegfall der aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs nicht gerechtfertigt und ist deshalb die
aufschiebende Wirkung entsprechend dem Grundsatz des §80 Abs.1 VwGO wiederherzustellen (vgl.
VGH Bad.-Württ., a.a.O.).
Im vorliegenden Fall ist ein besonderes Interesse an der sofortigen Vollziehung der
Untersagungsverfügung der Antragsgegnerin im Sinne von § 80 Abs.2 S.1 Nr.4 VwGO für
die Kammer nicht erkennbar.
Das gilt zunächst für die Erwägungen in der - den formellen Anforderungen nach
§ 80 Abs.3 S.1 VwGO noch genügenden - behördlichen Begründung für die
Anordnung der sofortigen Vollziehung in der Verfügung vom 22.09.1999.
Die Dringlichkeit einer sofortigen Vollziehung ergibt sich entgegen der Auffassung der
Antragsgegnerin zunächst nicht daraus, dass das Befahren der öffentlichen Straßen
und Plätze auf dem Gebiet der Stadt Karlsruhe mit Fahrzeugen, die mit Spezialkameras
ausgerüstet sind, um Fotoaufnahmen der angrenzenden Grundstücke zu machen, einen
besonders publikumsintensiven Vorgang darstellt, der sich direkt im Straßenverkehr abspielt.
Der Prokurist der Antragstellerin hat eidesstattlich gegenüber dem Gericht versichert, dass
sich die Aufnahmefahrzeuge mit normaler Geschwindigkeit im Verkehrsfluss bewegten und durch die
Bildaufnahmen in keiner Form der Verkehr beeinträchtigt werde. Es würden auch keine
besonderen Fahrmanöver oder Haltepositionen durchgeführt bzw. angefahren. Darüber
hinaus handele es sich bei den Aufnahmefahrzeugen um handelsübliche Mercedes-Kleintransporter,
in deren Dächern die Aufnahmekameras integriert seien. Die Kammer sieht keinen Anlass, an der
Richtigkeit dieser Angaben zu zweifeln. Da sich die Aufnahmefahrzeuge danach aber im
Straßenraum verkehrsgerecht verhalten, entgegen der Befürchtung der Antragsgegnerin
insbesondere kein ständiges Anhalten und Wiederanfahren zu erwarten ist, und sie sich auch
nach ihrem äußeren Erscheinungsbild nicht wesentlich von den übrigen am Verkehr
teilnehmenden Fahrzeugen unterscheiden, kann von einem "publikumsintensiven Vorgang" keine Rede
sein. Eine Beeinträchtigung der Belange der anderen Straßenverkehrsteilnehmer ist daher
nicht zu erwarten, so dass in diesem Zusammenhang auch ein Interesse an der sofortigen Vollziehung
der Untersagungsverfügung nicht gegeben sein kann.
Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin liegt ein Vollziehungsinteresse im Sinne von §
80 Abs.2 S.1 Nr.4 VwGO auch insofern nicht vor, als durch das Vorhaben der Antragstellerin die
Interessen der Anlieger tangiert würden, die kein Interesse daran haben könnten, dass
ihre Grundstücke gegen ihren Willen fotografiert werden. Nach Auffassung der Kammer werden
durch das Vorhaben der Antragstellerin keinerlei Rechte der Anlieger verletzt.
In Einklang mit den Feststellungen des Landgerichts Waldshut-Tiengen im Urteil vom 28.10.1999 (1
O 200/99) geht das Gericht zunächst davon aus, dass innerhalb der Datenbank der
Antragstellerin eine Verknüpfung einzelner Gebäudeansichten mit konkreten
Einzelanschriften - einschließlich der jeweiligen Hausnummer - oder gar mit den
Einzeladressen der Eigentümer oder Bewohner dieses Hauses nicht erfolgt. Nach den unwiderlegt
gebliebenen Angaben der Antragstellerin ist vielmehr davon auszugehen, dass der jeweilige Standort
des Aufnahmefahrzeugs zunächst lediglich mit dessen - durch Satellitennavigation ermittelten -
geoterrestrischen Position verknüpft ist und erst in einem weiteren Arbeitsschritt diese
geographischen Daten einem bestimmten Straßennamen innerhalb der jeweiligen Gemeinde
zugeordnet werden. Ein direkter Zugriff auf die Abbildung eines konkreten Einzelgebäudes durch
die Eingabe konkreter Adressdaten einer bestimmten Person ist somit ebenso wenig beabsichtigt wie
umgekehrt der Abruf bestimmter personenbezogener Daten nach Eingabe der Abbildung eines bestimmten
Einzelgebäudes. Nach den glaubhaften Angaben der Antragstellerin kann man durch Eingabe eines
- im Rahmen einer Adress- oder Telefondatenbank möglicherweise auch mit bestimmten Einzelnamen
verknüpften - Straßennamens zwar am Bildschirm des Computers einen Eindruck vom Verlauf
dieser Straße aus der Sicht der eingesetzten Kamerafahrzeuge erlangen, an ein konkretes
Einzelgebäude kann man sich aber lediglich durch manuell gesteuertes "Abfahren" dieses
Straßenverlaufs herantasten, so dass man zu einer konkreten Zuordnung der Abbildung eines
bestimmten Gebäudes zu bestimmten Adressdaten einzelner Personen nur dann gelangen kann, wenn
man das Gebäudeäußere bereits aus anderen Quellen kennt oder ausnahmsweise die am
Gebäude angebrachte Hausnummer auf der Abbildung hinreichend deutlich erkennbar ist. Eine
automatisierte Verknüpfung einer einzelnen Gebäudeabbildung mit konkreten Adressdaten der
Bewohner ist zumindest derzeit technisch nicht möglich.
Unter diesen technischen Voraussetzungen ist eine Verletzung des Eigentumsrechts der Anlieger
durch die fotografische Erfassung der Außenansicht der Gebäude nicht zu befürchten.
Denn das Fotografieren eines Hauses von einer öffentlichen Straße aus verletzt weder die
Sachsubstanz des Eigentums in irgendeiner Weise noch wird der Eigentümer hierdurch in der
Nutzung der Sache und seinem Recht, mit dieser nach seinem Belieben zu verfahren, in
tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht irgendwie beeinträchtigt (vgl. BGH, Urt. v.
09.03.1989, NJW 1989, 2251 f.; OLG Brandenburg, Urt. v. 02.09.1998, NJW 1999, 3339 f.; Landgericht
Waldshut-Tiengen, Urt. v. 28.10.1999 - 1 O 200/99 -). Da nach § 59 Abs.1 Urhebergesetz auch
die fotografische Verbreitung der äußeren Ansicht eines Gebäudes dem
Urheberrechtsschutz entzogen ist, sind die Anlieger bzw. die jeweiligen Architekten nicht einmal
als geistige Schöpfer der Bauwerke berechtigt, der Antragstellerin deren fotografische
Vervielfältigung zu untersagen.
Ein Abwehranspruch der Anlieger lässt sich auch nicht aus dem allgemeinen
Persönlichkeitsrecht und dessen Ausgestaltungen im Recht auf angemessenen Schutz der
Privatsphäre, dem Recht am eigenen Bild und dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung
herleiten.
Durch die Aufnahme und gewerbliche Weiterverbreitung von Abbildungen der Außenansicht der
Wohngebäude der Anlieger wird nur der Teilbereich des Persönlichkeitsrechtes
berührt, der ohnehin der Öffentlichkeit zugewandt ist und deshalb von vornherein
allenfalls einen sehr begrenzten Schutz genießen kann. Denn dass aus den sich im normalen
Verkehrsfluss bewegenden Aufnahmefahrzeugen der Antragstellerin Abbildungen aufgenommen werden
können, die über die äußere Gebäudefassade hinaus tiefergehende Einblicke
in die Privat- oder Intimsphäre der Anlieger erlaubten, wird von der Antragsgegnerin nicht
behauptet und ist auch sonst nicht ersichtlich. Die Öffentlichkeitssphäre als der Bereich
des menschlichen Lebens, von dem jedermann Kenntnis nehmen kann, genießt aber von vornherein
keinen Schutz gegen Indiskretionen. Allenfalls gegen unrichtige oder ehrverletzende Darstellungen
kann sich der Betroffene auch in diesem Teilbereich seiner Persönlichkeit mit Erfolg zur Wehr
setzen. Solche Eingriffe drohen den Anliegern von dem völlig objektiven und wertneutralen
Aufnahmeverfahren der Antragstellerin aber offensichtlich nicht. Auch die mit den technischen
Möglichkeiten einer digitalen Bilderfassung und weitgehend automatischen Abrufbarkeit und
Reproduzierbarkeit der Gebäudeabbildungen in der Bilddatenbank der Antragstellerin verbundenen
erweiterten Verwertungschancen begründen insoweit keinen erweiterten
Persönlichkeitsschutz. Zwar stehen die Abbildungen der Gebäude der Anlieger auf diese
Weise dem Zugriff eines nicht mehr überschaubaren Personenkreises offen; dies ändert
jedoch nichts daran, dass es sich bei den veröffentlichten Gebäudeansichten nur um einen
sehr marginalen Ausschnitt aus dem Persönlichkeitsbild der Anlieger handelt, dessen
Aussagekraft andere öffentlich zugängliche personenbezogene Daten nicht übersteigt
(vgl. Landgericht Waldshut-Tiengen, a.a.O.). Nach Auffassung der Kammer dürfte auch die
Befürchtung der Anlieger unbegründet sein, Diebesbanden könnten die Häuser- und
Gebäudekarte nutzen, um Einbrüche zu planen. Professionelle Einbrecher, und nur solche
würden das System im Hinblick auf die hohen Kosten (für eine mittlere Großstadt
mehrere 100.000, 00 DM) kaufen, werden das Objekt stets in Augenschein nehmen und sich nicht mit
Aufnahmen begnügen, die nicht die für Einbrüche besonders interessante
Rückseite des Gebäudes erkennen lassen. Weiterhin kann nur durch Prüfung vor Ort
z.B. sicher erkannt werden, ob das Haus von einem Hund bewacht wird oder ob eine Alarmanlage
installiert ist und wie sie beschaffen ist (vgl. auch Nedden, DuD 1999, 533 [534]).
Abwehrfähige Eingriffe in die Persönlichkeitsrechte der Anlieger sind nach alledem nicht
zu erwarten.
Das Recht am eigenen Bild kann dem betroffenen Anlieger ebenfalls keinen Abwehranspruch
vermitteln, da die Regelungen der §§ 22 ff. Kunsturhebergesetz auf Abbildungen von Sachen
nicht anwendbar sind (vgl. auch OLG Brandenburg, a.a.O.).
Schließlich wird durch das Vorhaben der Antragstellerin auch nicht das Recht auf
informationelle Selbstbestimmung verletzt. Dieses ist zunächst nicht schrankenlos
gewährleistet, der Einzelne hat also nicht ein Recht im Sinne einer absoluten,
uneinschränkbaren Herrschaft über "seine" Daten, er ist vielmehr als eine sich innerhalb
der sozialen Gemeinschaft entfaltende, auf Kommunikation angewiesene Persönlichkeit
verpflichtet, eine ihn nicht unangemessen stark belastende Preisgabe und Verwertung
personenbezogener Daten im überwiegenden Allgemeininteresse oder auch im gleichrangigen
Interesse Dritter hinzunehmen (vgl. Landgericht Waldshut-Tiengen, a.a.O.).
Auch nach diesen Grundsätzen stellt die digitale Erfassung einer Abbildung der
Gebäudeaußenseite des Wohnhauses eines Anliegers aber keinen unzulässigen Eingriff
in dessen Persönlichkeitsrecht dar. Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang zunächst,
dass die zuständige Aufsichtsbehörde nach dem Bundesdatenschutzgesetz bei der
datenschutzrechtlichen Prüfung und Bewertung der elektronischen Häuser- und
Gebäudekarte der Antragstellerin unter dem 23.06.1999 zu dem Ergebnis kam, dass diese derzeit
nicht gegen das Bundesdatenschutzgesetz verstoße. Das Bundesdatenschutzgesetz sei schon
deshalb nicht anzuwenden, weil es sich nicht um eine Datei im Sinne des § 3 Abs.2 S.1 Nr.1
BDSG handele, was Voraussetzung einer Anwendbarkeit der für die Datenverar- beitung durch
nichtöffentliche Stellen geltenden Vorschriften der §§ 27 ff. BDSG wäre. Die
Kammer sieht keinen Anlass, an der Richtigkeit dieser Feststellung der zuständigen
Aufsichtsbehörde nach dem Bundesdatenschutzgesetz zu zweifeln.
Selbst im Falle der Anwendbarkeit der Vorschriften des Bundesdatenschutzgesetzes wäre die
geschäftsmäßige Speicherung der öffentlich ohne Weiteres zugänglichen
Gebäudeabbildungen nach §29 Abs.1 S.1 Nr.2 BDSG auch nur dann unzulässig, wenn dem
offensichtlich überwiegende schutzwürdige Interessen der Betroffenen
entgegenstünden. Auch hiervon kann angesichts des eher begrenzten Aussagegehalts der Abbildung
einer Gebäudefassade nicht ausgegangen werden. Dass die für eine Verwertung dieser Daten
sprechenden Interessen der Antragstellerin rein kommerzieller Natur sind, ändert hieran
nichts, da auch die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit grundgesetzlichen Schutz (Art. 14
Abs.1) genießt und bei der Abwägung der gegenläufigen Interessen der Daten
speichernden Stelle und der Betroffenen somit durchaus zu berücksichtigen ist (vgl.
Landgericht Waldshut-Tiengen, a.a.O.; Nedden, DuD, 533 [534 f.]).
Festzuhalten bleibt daher, dass durch das Vorhaben der Antragstellerin weder Belange der
übrigen Straßenverkehrsteilnehmer noch der Eigentümer der erfassten Gebäude
be- einträchtigt werden, so dass ein Vollziehungsinteresse im Sinne von § 80 Abs.2 S.1
Nr.4 VwGO nicht festzustellen ist. Dementsprechend ist der Wegfall der aufschiebenden Wir- kung des
Rechtsbehelfs der Antragstellerin nicht gerechtfertigt und deshalb die aufschie- bende Wirkung
entsprechend dem Grundsatz des § 80 Abs.1 VwGO wiederherzustellen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs.1 VwGO, die Streitwertfestsetzung beruht auf
§§25 Abs.1 S.1, 20Abs.3, 13 Abs.1 S.2 GKG.
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