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Chaos Communication Camp 1999 - The Rendezvous

PROLOG

Im November 1998 empfing die Intergalaktische Kontaktgruppe des Chaos Computer Clubs ein merkwürdiges Signal. Nach der Analyse stand fest: Das in allen Sonnensystemen dieses Universums bekannte Raumschiff "Herz Aus Gold" strandete in unserer Milchstraße mit einem Computerfehler.

Schnell einigte man sich auf die Ausrichtung eines großen Hackerzeltlagers auf einer Wiese bei Berlin. Die "Herz Aus Gold" flog mit letzter Energie zur Erde und trat dort im August 1999 in die Umlaufbahn des Planeten ein.

Mit einer kleinen Rakete landete die Crew mitten auf dem Platz und mischte sich unter die Hacker, um gemeinsam den Bordcomputer wieder auf Vordermann zu bringen.

Wie alles begann

Nach CeBIT, Congress, wiederholten überzogenen Datenschleuder-Layout-Sessions und anderen Stressfaktoren waren wir uns einig: Wir brauchten Urlaub.

Zwei Veranstaltungen in Holland - Hacking At The End Of The Universe (HEU, 1993) und Hacking In Progress (HIP, 1997) - lieferten die Grundidee. Da wir wussten, dass wir auch im Urlaub auf Internet nicht verzichten konnten, war eine amtliche Infrastruktur auch die Basis jeder Planung.

Mit der Zeit entwickelten wir einige Ideen, was wir sonst noch bei einem Hackerzeltlager gerne sehen wollten und machten uns an die Arbeit, das ganze in die Wege zu leiten. Dazu gab es eine Menge zu bedenken.

Das Gelände

Als Gelände hatten wir uns eine Pferdewiese auf einem Privatgelände in Altlandsberg bei Berlin ausgeguckt. Die Wiese war gross genug (64.000 qm) und lag an einem schicken See. Logistisch gab es zwar die einen oder anderen Probleme, aber insgesamt schien es gut geeignet.

Die Verständigung mit dem Besitzer und Gemeinde war easy. Wir waren mit unserer Hackergemeinde gern gesehen und erhielten viel Unterstützung von allen beteiligten Behörden, besonders der Feuerwehr der Stadt Altlandsberg.

Der Weg war also frei. Nun mussten wir uns als nächstes um die Infrastruktur kümmern.

Strom

Zunächst brauchten wir überall Strom. Nach Beratung mit der Firma aggreko entschieden wir uns für drei elektronisch synchronisierte Dieselgeneratoren mit je 330 kW Leistung. Diese lieferten den Strom über ein dreistufiges Verteilungsnetz an Feldverteilern mit einer Reihe von 230V-Anschlüssen.

Mit dem Aufbau des Stromnetzes wurde schon eine Woche vor dem Camp begonnen. Die Generatoren wurden angeliefert und die grossen, schweren Stromkabel wurden gezogen, um die Aggregate mit den Hauptverteilerboxen zu verbinden. Von dort gingen Kabel zu insgesamt 10 Unterverteilem, die wiederum die Feldverteiler mit Strom versorgten.

Die Arbeit war hart: Aufgerollte Kabelrollen wurden aufgespürt und vorsorglich entschnürt. Wir wollten kein Risiko eingehen - der Strom sollte laufen. Später wurden wir mit einem stabilen Stromnetz belohnt.

Internet

Da zu einem guten Urlaub auch eine gute Internetanbindung gehört, entschieden wir uns für den Maximalausbau: 16 kBit/s für jeden Teilnehmer sollten es schon sein. Wenn man das aufrundet kommt man auf branchenübliche 34 MBit/s. Aber wo kriegt man die her?

Bei unseren Nachforschungen auf der CeBIT trafen wir auf einige gerunzelte Gesichter. "Wieviel Mbit/s sagten sie?". Ich bin mir sicher, dass uns einige von denen für Idioten gehalten haben. Manche hatten auch schon vom CCC gehört. Man höre und staune.

Recht aufgeschlossen gab man sich interessanterweise bei der Telekom. Fleissig erkundeten ihre Techniker später das Gelände und empfahlen eine Funkstrecke. Schade, keine eigene Glasfaserleitung, aber immerhin bekamen wir einen coolen Turm. Die Wahl fiel schliesslich auf die Tante T, die sich redlich bemühte, den Hackern einen feinen Urlaub zu ermöglichen. Die anderen Provider hatten meist weder die notwendigen Kapazitäten, noch eine Funkinfrastruktur.

Am Schluss hatten wir einen Funkturm von 40 m Höhe auf dem Acker. Oben schielte die Antenne zu einem grossen regionalen Funkverteiler, der die Daten nach Berlin brachte. Die Anbindung erfolgte dann über T-InterConnect mit 34 Mbit/s.

CampNet

Das Netz musste die 64.000 qm vollständig abdecken. Darüber hinaus war ein schneller Backbone hochgradig wünschenswert. Mit 3COM und später auch CISCO fanden wir zwei hilfreiche Unternehmen, die uns Geräte stellten: Switches mit Gigabit und vielen 100-MBit/s-Ports. Das war cool. Damit konnten wir letztlich einen Gigabit-Backbone auf Glasfaserbasis planen.

Noch kurz vor dem Camp waren wir uns nicht ganz schlüssig, wie wir das Glasfaser auf dem Gelände verteilen sollten. Sternförmige Topologie war klar, aber wo packt man das bruchgefährdete und darüber hinaus teure Kabel hin, damit es vor den Gabelstaplern sicher ist? Schliesslich kam das Kabel in die Erde: mit dem Trecker wurde eine dünne Furche gezogen, in der die Faser versenkt wurde. Furche zu, Netz fertig.

An den 8 Verteilungspunkten plazierten wir Switches. Im Hackcenter kamen CISCO Catalyst Switches der 5000er Serie zum Einsatz. Auf dem Feld verwendeten wir 3COM Superstack II Switches (3300/3900) mit Gigabit-Ports. Zum Schutz vor Wettereinfluss waren die Switches auf dem Feld in ausgedienten Toilettenhäuschen untergebracht - das Datenklo war wiedergeboren.

Von den Datenklos gingen später Kabel zu Access Points - Zelten von Campteilnehmern, die früh kamen und bereit waren, einen weiteren Switch bei sich zu beherbergen und die Anschlüsse für andere bereitzustellen. Das Konzept funktionierte prima. So hatte jeder Teilnehmer eine reale Chance auf einen 100 MBit/s-Port und schnelle Anbindung.

Das alles lief zusammen im NOC. Zwei Container (Lager/Serverraum) und ein Arbeitszelt verschmolzen zu einer Internetkathedrale. Der Turm, der sich neben dem NOC in den Himmel reckte, unterstrich dieses Bild nachhaltig. Wenn man sich zum Altar vortastete, an dem IP-Adressen auf Wäscheklammern ausgegeben wurden, konnte man die Hohepriester bei der Arbeit betrachten. Hier wurden die wichtigen Services für das Netz betrieben: DNS, MAIL, ein Web-Proxy und der stark überlastete FTP-Server. Im NOC verbanden ein 3COM CoreBuilder 9400 und ein 3COM CoreBuilder 3500 die Datenklos und das Hackcenter.

Der FTP-Server

Leider versagte unsere Wunschkonfiguration (Alpha-Server) beim "Feldtest" und musste durch einen PC ersetzt werden, der nicht mehr als 100 User verkraftete. Das war natürlich für den Datenhunger auf dem Camp nicht ausreichend -liess sich vor Ort dann aber auch nicht mehr ändern. Better luck next time.

Dafür gab es andere Schmankerl. Zum Beispiel funktionierte das Wireless Ethernet offensichtlich prima. Über 20 Teilnehmer konnten über die 4 installierten Basisstationen (Access Points) nahezu flächendeckend Internet abgreifen. Auch IPv6 konnte erfolgreich in Betrieb genommen werden: Ein IPv6 Tunnel nach Münster sicherte die Versorgung.

Zusätzlich zum Glasfaser-Backbone, waren die Feldswitches untereinander mit CAT5-Kabel verbunden. Damit konnte auf den Switches ein Spanning-Tree-Routing-Algorithmus gefahren werden, was sich später aber als Problem herausstellte. Natürlich waren unsere Switches kräftig unter Beschuss. Ein Lokalisieren der Angreifer wurde durch das Ausnutzen alternativer Routen unmöglich. Ein hostile network lässt sich damit nicht mehr in den Griff kriegen. Das Feature wurde dann abgeschaltet.

Datenklos

Während der drei Tage waren 1500 unterschiedliche MAC-Adressen auf dem CampNet zu sehen. Offensichtlich hatte jeder Teilnehmer im Schnitt einen Computer mitgebracht. Die Internetverbindung war durchschnittlich zu 20 MBit/s belegt. Schon eine recht beeindruckende Nutzung - zumindest war die Telekom im nachhinein überrascht, dass wir soviel Last erzeugen konnten.

Auf dem Gelände waren am Schluss knapp 14 Kilometer Kabel ausgelegt. Das meiste davon war CAT5-Kabel zum Verbinden der Rechner. Gut 1,5 km waren Glasfaserkabel, das im Vorfeld mit einem Trecker dezent unter die Kruste geschoben wurde. Man kann vom CampNet wohl vom grössten, nicht-militärischen Open-Air-Computer-Netzwerk des Jahrhunderts sprechen.

Am Ende des sternförmig ausgelegten Glasfaser-Netzes standen defekte Toilettenhäuschen - die Datenklos. Sie dienten als Hort für unsere grossen Switches, die das Backbone formten.

Hackcenter

Das Hackcenter war ein 70 m langes und 22 m breites Zelt in der Mitte des Platzes. Hier fanden gut 300 Leute mit ihren Rechnern an bereitgestellten Tischen Anschluss. Projektionen machten aus dem Zelt in der Nacht einen geheimnisvollen Ort.

Der Ort machte seinem Namen offensichtlich alle Ehre. Nach einer aufreibenden Suchaktion nach einem Bösewicht, der die Router des Netzwerks masslos überlastete wurde man im grossen Zelt fündig. Der Delinquent wurde für seine Schandtat zum Toilettenreinigen verdonnert

Workshops

In den Workshops zeigte sich der grundlegende Unterschied zwischen dem Camp und den bisherigen Congressen: Gut drei Viertel aller Vorträge wurden in englisch gehalten und offensichtlich störte dieses kaum jemanden. Da ein Viertel aller Teilnehmer ohnehin aus dem Ausland kamen, fand man auf dem Camp überall babylonische Zustände. Doch alle verstanden sich prima. Highlights waren vor allem die Vorträge der Cypherpunks - jener verrückten Truppe von Amerikanern, die auf dem Hügel vor der Rakete gleich in zwei grossen Zelten hausten und dort allerlei Interessantes boten und auch wilde Feste zu feiern vermochten. Ganz was anderes bot der "Poetry Slam", in dem sich literarische Freigeister im lustigen Wettstreit dem Campteilnehmern ihre Texte feilboten. Hier wurde die kulturelle Bandbreite des Camps in besonderer Weise spürbar.

Linux Deathmatch

Das Linux Deathmatch war am zweiten Tag die Attraktion im Hackcenter. Vier Teams traten gegeneinander an und mussten einen Linux-Rechner installieren, Dienste zum Laufen bringen und - die besondere Schwierigkeit - auch am Laufen halten. Während die Teams sich gegenseitig mit Hack-Attacken das Leben schwer machten, wachte ein fünfter Computer - der Game-Server -über die Zustände der vier anderen Systeme. Für laufende Dienste gab es Punkte. Sieger wurde, wer davon am meisten einsacken konnte. Bemerkenswerterweise konnte den Erfolg ein Team verbuchen, das eher dem Betriebssystem FreeBSD als Linux geneigt ist. So ist das Leben.

Villages

Das Camp wies vier besondere Zonen auf: die Villages. Je ein zentrales Zelt stellte den Mittelpunkt für die vier Dörfer "Lockpicking", "Cryptography", "Reengineering" und "Art & Beauty" dar. Das Lockpicking Village erfreute sich bei allen Gästen grösster Beliebtheit - Hands-On Hacking zum Anfassen. Den ganzen Tag über konnte man sich in entspannten Kursen in die Kunst des gewaltlosen Schlossöffnens ohne Schlüssel einführen lassen. Besondere Aufmerksamkeit erregte aber besonders das "Art & Beauty" Village. Hier fanden sich die kreativen ausgabeorientierten Hacker zusammen. Neben ausgedehnten GIMP-Sessions zog vor allem ein 3D-Drucker die Besucher in seinen Bann. Unablässig werkelte die Maschine an immer wieder neuen Inkarnationen der "Herz aus Gold". Über die drei Tage entstanden fünf verschiedene Raumschiffmodelle.

Leisure Lounge

Am Rande des Camps gab es für den modernen Urlauber noch ein paar Überraschungen. Die Leisure Lounge bot den rund 1500 Gästen eine Milchbar, eine Cocktailbar und eine spezielle Bar für pflanzliche Wunderdrinks. Ein weiterer Stand versorgte die Hacker mit leckeren Burgern. An einer anderen Ecke lauerten Falafel und verführerische Waffeln mit Features. Aber der Hit in der Sonne war der See, der sich direkt an das Gelände anschloss und bei den hohen Temperaturen jederzeit eine Abkühlung bereithielt. Das nächste Mal... ...war am Ende die meistbemühte Phrase. Ob und wann das Camp eine Fortsetzung erfährt, steht noch in den Sternen. Es war eine Menge Arbeit -aber vor allem eine Menge Spass. Nun lassen wir ein wenig Zeit vergehen und blicken auf das, was unweigerlich als nächstes ansteht: den Congress. tim@ccc.de

EPILOGUE

The Camp idea is pretty much influenced by HEU and HIP, the two famous hacker camps in Holland, two and six years ago. These events have ignited the community spirit among hackers in a special way and have underlined that hacking is not about computing - it's a state of mind. The Camp is your place for meeting, discussing, testing, proving, questioning, designing, redesigning, engineering, reengineering, searching, researching, hacking, phreaking, brainstorming and understanding.

Hacking is about thinking for yourself.

As our world is getting more and more complex, gaining and sharing knowledge is key to survival. There is a need for open communication and a free, unlimited exchange of ideas and concepts. The Camp is a place to do just that. Viel Spaß am Gerät! - The Crew

(from: The Camp Guide).

 

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