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Das Prinzip Hoffnung

von Andy Müller-Maguhn

Datenreisebericht H2K Konferenz der 2600 in New York 14.-16.07.2000

Bereits zum zweiten bzw. dritten Mal organisierte die amerikanische 2600 Gruppe, im altehrwürdigen Hotel Pennsylvania in New York die "Hackers on Planet Earth" Konferenz. Die erste Konferenz 1995 war allerdings eher eine rein amerikanische Zusammenkunft, die zweite Konferenz 1997 - wenn ich das richtig verstanden habe - auch in einem anderen Hotel und zeitgleich zum "Hacking in Progress" Camp in Holland. Da ich zur ersten Konferenz 1995 zuletzt in New York war, sollte ich einführend und erklärend vielleicht zunächst etwas über das Umfeld und die Atmosphäre der Konferenz berichten. Im Jahre 1995 war New York bzw. Manhattan eine eher rauhe, kantige und lebendige Ecke, die zwar nicht besonders hygenisch wirkte, aber dafür mit unglaublicher Dynamik und buntesten Menschen auf den Straßen ein passendes Umfeld zur Konferenz darstellte. Die Touristenströme waren sozusagen noch in einheimische Umgebung und Kultur eingebettet.

Trial & Error: in diesem Stadium der Entwicklung fuhr der "autonome Sprühroboter" noch vorwärts - und verwischte dabei natürlich die Schrift, duh! In diesem Fall gilt aber ausnahmsweise: "Inhalt schlägt Form!"

Im Jahr 2000 hatte sich einiges verändert; die fünf Jahre der "Zero Tolerance" Policy haben deutliche Spuren hinterlassen. Glaubte ich anfangs noch, mich positiv beeindruckt von der äußerst geringen Anzahl rauchender Menschen und den verhältnismässig sauberen Straßen zu wähnen, so hörte jegliche positive Assoziation leider gleich am ersten Morgen nach der Ankunft auf, als ich es wagte, mir in der Hotellobby einen Kaffee und einen Croissant zu kaufen.

Glücklich wähnte ich mich in einem der wenigen Sessel am Kaffee nippend, als ein Angestellter des Hotels mich darauf hinwies, daß es nicht erlaubt sei, im Sitzen zu trinken. In der Annahme, es handele sich um ein Polsterschonprogramm begab ich mich zu einer tischähnlichen Formation aus Marmor, knappste ein Stück Croissant, wo mich dann ein anderer Angestellter des Hotels darauf hinwies, daß es nicht erlaubt sei während des Stehens zu essen. Diskussionen waren annä hrend sinnfrei. Derartiges ist mir zuletzt in Bayern passiert, und ich weiß, warum ich mich dort sowenig wie möglich aufhalte.

Die nähere Betrachtung des Geschehens auf den vermeintlich sauberen Straßen warf auch mehr Fragen auf, als sie beantwortete. Annährend jedes Geschäft hat offenbar einen eigenen Angestellten für die Reinhaltung des Bürger-steigabschnittes vor dem Ladengeschäft. Wie diese Art von Arbeitsplätzen entlohnt wird, und welche Anstrengungen das amerikanische Bildungswesen unternimmt, damit die Leute mit solchen Jobs glücklich sind blieb mir zumindest völlig unklar.

Auch beim Fahrstuhlfahren kann man bereits in größte Schwierigkeiten geraten, wenn man unachtsam etwa eine Frau mit dem Ellbogen an der Schulter berührt. Ausführliche Entschuldigungszeremonien werden in erstaunlicher Lautstärke eingefordert, um jeglichen Verdacht der versuchten sexuellen Belästigung (wie auch immer das mit dem Ellbogen gehen soll) von sich zu weisen. Leider konnte ich trotz mehrerer Gespräche mit Eingeborenen nicht herausfinden ob der Bürgermeister von New York von Bayern oder Singapur für das von ihm eingeführte "Zero Tolerance" Programm inspiriert wurde. Im Ausgleich wurde mir allerdings berichtet, mit welchem Programmteil er durchweg scheiterte.

Ursprünglich sollten die Bürger von New York dazu erzogen werden, sogar bei Rot an der Ampel zu halten. Das bis dato weit verbreitete "Jaywalking" - sprich kreuz und quer über die Straße laufen, ungeachtet etwaiger Ampelfarben, wurde als Indikator allgemeiner mangelnder Disziplin als bösartig, verabscheuungswürdig und Hort asozialen Verhaltens und Kriminalität bezeichnet. Nebst der Debattierung empfindlicher Geldstrafen wurde eine Videoüberwachung ausgewählter Plätze in der Nähe öffentlicher Gebäude erprobt. Die Regierungsangestellten wurden angehalten, sich vorbildlich gegenüber den normalen Bürgern gemäß den Ampelfarben zu verhalten.

Die Legende der Eingeborenen besagt nun, daß exakt jener Bürgermeister, der sich so vehement gegen das Jaywalking ausgesprochen hatte, auf einem solchen Videoband festgehalten wurde, als er an einer roten Ampel über die vielbefahrene Straße lief. Die Polizei begnügte sich damit, daß Videoband dem Fernsehen zuzuspielen, anstelle ein Ermittlungsverfahren gegen ihn einzuleiten. Jaywalking gilt seitdem als akzeptiert; es gibt praktisch keine Fußgänger, die sich an den Ampeln und nicht an den Autos orientieren. Da der Verkehr immer noch sehr heftig ist und zu häufigen Staus führt, wird kreuz und quer zwischen den Autos hergelaufen.

Die Konferenz selbst hatte sich hingegen äußerst positiv vernetzt entwickelt, so daß neben der vormals eher individuell dastehenden 2600-Gruppe auch etliche andere Gruppen und Projekte wie Cult of the Dead Cow und die Electronic Frontier Foundation aktiv vertreten waren. Das Konferenzprogramm war zwar formell gesehen tagsüber, die Konferenz selbst aber de fakto von Freitag morgen bis Sonntag spätnachmittag. Eine einzige fette Party, die insbesonders durch die vielzahl kultureller Aktivitäten einen durchaus von Jetlag und Übermüdung ablenken konnte.

Neben eher traditionellen technischen Themen rund um Internet, Telefon- und Mobilfunknetzen war der anstehende Prozeß der MPAA (Motion Pictures of America Association) gegen 2600 bzw. den formell auch für das Webprogramm verantwortlichen Emmanuel Goldstein wegen Anlegung einer Linkliste zu den DeCSS Sourcecodes ein Thema, das sich deutlich in den verschiedenen Facetten bis hin zur Grundsatzfrage nach den Sinn von Urheberrechten im Jahre 2000 niederschlug.

Die "Keynote"-Speech hielt der ehemaliger Sänger der Punkband "Dead Kennedies" Jello Biafra, der trotz einstündiger Verspätung (entschuldigte sich kurz, daß er verpennt hatte) ein aufmerksames Publikum von 2.500 Leuten vorfand. Er adressierte nicht nur eine kompakte Gesellschaftskritik in deutlicher Sprache ("More and more people are realizing that corporations are going too damn far"), sondern sprach auch die Frage nach "geistigem Eigentum" und anderen Blödsinn deutlich an; insbesondere mit der für ihn wichtigen Frage nach sinnvollen Finanzierungsformen für Künstler.

Im Bezug auf die Workshopräume erinnerte die H2K ein bißchen an den Chaos Communication Congress 1997, den letzten in den Räumen des Eidelstedter Bürgerhauses in Hamburg; die Leute standen vor den völlig überfüllten Räumen in den Fluren, um noch ein paar Bits Information über Funknetzprotokolle, IP-Insecurity und andere Techniken zu hören.

Die als Ausgleich im Programm zur Verfügung stehenden Auflockerungen machten das mehr als wett; neben der theatralischen Darbietung der Cult of Dead Cow (das ist unbeschreiblich; ein Mittelding zwischen einer Orgie und einem Vortrag über die Unsicherheit von Microsoft-Systemen) wurde der Film "Freedom Downtime" (wir zeigen ihn auf dem 17C3) von Emmanuel Goldstein et al. über die Kevin Mitnick Story aufgeführt. Insbesondere die über zweistündige Verspätung, die sich aus den Synchronisierungsproblemen zweier Beamer in den zwei Konferenzräumen ergab und zu einer Vielzahl von unterschiedlichen künstlerischen Darbietungen einzelner Teilnehmer ergab, gaben mir das beruhigende Gefühl, unter intelligenten Menschen zu sitzen.

In der langen Samstagnacht kotzte sich der ehemalige CIA-Mitarbeiter Robert Steele, der 1995 die Eröffnungsrede auf der HOPE-Konferenz gehalten hatte, über die strukturbedingten Inkompetenzen und systematischen Fehlervertuschungen bei der CIA im Rahmen einer 3-4 stündigen Questions & Answers Session mit dem Publikum aus. Der hat sich einfach mal die Seele freigeredet, wenn auch viele seiner Äußerungen vom Publikum mit äußerster Skepsis aber auch äußerstem Gelächter ob der klaren Worte ("I´ll explain to you how this damn shit happened with the Chinese embassy") aufgenommen wurde.

Spätestens die Theateraufführung des zu erwartenden Gerichtsprozesses der MPAA gegen die 2600, in dessen Verschluß schließlich der Vertreter der MPAA wegen gesellschaftsschädlichem Verhalten verhaftet wurde, hat aus H2K ein wirkliches kulturelles Ereignis gemacht und ein Blick auf die künstlerischen Qualitäten vieler Hacker geworfen. Aus einer Versammlung von Technik- und Strukturfreaks hat sich mittlerweile eine ganzheitliche Kultur entwickelt.

Im Rahmen des Hackcenters - das vor allem nachts durch seine grossen Fensterfronten im 18. Stock mitten in Manhatten schon ein Höchstmaß an Raumschiffgefühl vermittelte - gab es nicht nur Internetanbindung mit den automatisch daran anhängenden Scharen süchtiger Mailjunkies etc. sondern auch eine kleine Ansammlung an Projektausstellungen verschiedener Gruppen.

Insbesondere das Institute for Applied Autonomy beeindruckte durch seinen in einer Mischung aus Lego-Mindstorm, Fischertechnik und Modellbautechik konstruiertem Kleinroboter für das automatische Anfertigen von Graffitis ohne Verhaftungsgefahr. Die ausliegenden Kurzbroschüren unter dem Motto "IAA - Our shit works" sind sicherlich ausführlichere Beachtung und europäische Relaisierung wert. Erwähnenswert erscheint mir in diesem Zusammenhang auch eine vom IAA durchgeführte Studie (Rogue's Gallery Social Experiment) über die sinkende Hemmschwelle bei der Durchführung roboterisiertem Vandalismus: "Studies shows that in nearly 100% of the cases a given agent of the public will willingly participate in high profile acts of vandalism, given the opportunity to do so via mediated tele-robotic technology".

Im unmittelbaren Anschluß an die Konferenz am Montag begann dann auch der Prozeß MPAA vs. 2600, der mir auch in kompletten auf die Konferenz folgenden Woche mehr Synapsennahrung geben konnte, als das doch eher durch Touristengetummel dominierte Manhattan.

Im wesentlichen möchte ich eigentlich auf die wirklich lehrreichen, wenn auch überlangen Wortprotokolle der Gerichtsverhandlungen - verlinkt auf http://www.2600.com verweisen. Für diejenigen, die dafür nicht die Zeit haben, möchte ich hier kurz das Szenario und wesentliche Elemente beschrieben.

Die MPAA (Motion Pictures of America Association) läßt sich als Kläger der ganzen Angelegenheit natürlich durch gutbezahlte Anwälte - und wie sich am ersten Tag herausstellte - auch hochbestochene Zeugen einiges Kosten. Der erste Tag begann mit einer strategisch geschickt plazierten Zeugenvernehmung des Universitätsprofessors Dr. Michael Shamos. Strategisch insofern geschickt, als daß am Montag Vormittag noch am meisten Presse anwesend war und die Zeugenvernehmung am vormittag durch den Anwalt der MPAA erfolgte. Dr. Shamos beeindruckte am Vormittag durch Universitätstitel und dem Bericht über ein Experiment, im Rahmen dessen er eine DVD DeCSS´te und dann als DivX im Netz mit einer anderen DivX tauschte. Das ganze sollte dem Nachweis dienen, daß DeCSS ja als Instrument zur Überlistung von Urheberrechtsschutzinstrumenten verbreitet worden sei (und natürlich zu nichts anderem). ^ In der Nachmittagsvernehmung durch die EFF stellte sich allerdings nicht nur heraus, daß der Mann seinen Universitätstitel nur dazu mißbraucht, im wesentlichen Vorträge bei Firmen zu halten und einen deutlich fünfstelligen Betrag für seine Aussage für die MPAA bekommen hat. Vor allem seine Expertise brach vollständig zusammen, als er seine offensichtliche Unfähigkeit Detailfragen zu beantworten schließlich damit entschuldigte, daß ganze hätte ja im wesentlichen ein Student von ihm durchgeführt. Der von ihm angegebene Bandbreitenbedarf wurde auch vom Richter mit einigem Stirnrunzeln zur Kenntnis genommen, als er versuchte, ebendiesem zu erläutern, eine 7 Mbit Anbindung zuhause wäre ja heute normal.

Aufschlußreich war u.a. die Vernehmung der für die DVD-Entwicklung mitverantwortlichen Mitarbeiterin King bei Warner Brothers (executive vice-president worldwide business affairs for Warner Home Video), die in Ihrer Vernehmung zunächst angab, man sei von der DeCSS Entwicklung im Jahre 1999 völlig überrascht gewesen und hätte das Verfahren bis dato ja für zumindest zeitgemäß sicher gehalten. 1999 sei die nackte Panik ausgebrochen und hätte zu einer Wahnsinnsaktion mit etlichen Krisensitzungen geführt.

Im Rahmen Ihrer Vernehmung gegenüber der EFF (die sich offenbar dank hinreichend üppigen Etats oder außerirdischer Unterstützung etliche MPAA-interne Dokumente besorgt hatte) tauchte auf einmal ein MPAA-internes Memo von 1997 (!) auf, daß ausgerechnet von ihr verfasst auf das Ergebnis der Untersuchungen der Firmen Medon und Macrovision hinwies, die den CSS-Algorithmus als "weak, useless" bezeichnete.

Nach Hervorzauberung dieses Dokuments durch die EFF war Frau King nach meiner subjektiven Betrachtung allerdings hinüber. Der MPAA-Anwalt versuchte zwar noch durch etliche Einsprüche Ihre weitere Vernehmung zu sabotieren, aber Ihr flexibler Umgang mit den Fakten war damit nachgewiesen. Eher zufällig habe ich ihr nach der Vernehmung die Tür beim Verlassen des Gerichtssaals aufgehalten; rein menschlich fühlte ich mich dazu verpflichtet. Ihre berufliche Karriere war wohl zusammen mit der Glaubwürdigkeit ihrer Aussage zusammengebrochen; sie schien aber auch bemerkt zu haben, auf der falschen Seite gelandet zu sein.

Frau King vermittelte rein subjektiv und menschlich wahrgenommen noch den Rest eines Anstandsgefühl als Mensch. Ganz anders als die am Donnerstag vernommene Leiterin des "Anti-Piracy Departments" Frau Reiders. Ihre Aufgabe bei der MPAA - nach einer illustren Karriere bei Rand Corporation, Department of Justice und FBI "as an intelligence research specialist" - war die Beobachtung verdächtiger Elemente u.a. über das Internet. Neben der Beobachtung von Web-Sites, FTP-Server und durch Programme wie Napster lagen auch mehrere hundert Seiten Protokolle der einschlägigen Mailinglisten (relevant vor allem LiViD) vor.

Ihre Aussagefreudigkeit über die angeblich als unmittelbare Folge der DeCSS Entwicklung auftauchenden Raubkopien von Filmen, die schließlich durch DivX nocheinmal im Frühjahr 2000 einen enormen Aufschub bekommen hätten, hatte ein abruptes Ende, als die EFF-Anwälte sie unter Einbeziehung MPAA-interner Dokumente nach dem DOD Speed Ripper zu fragen begannen. Der nunmehr folgende fast 30-minütige Gedächtnisausfall, der schon im Protokoll eigentlich alles über die MPAA-Strategie aussagt war allerdings auch eine optische Wahrnehmung wert. Frau Reimers, eine verhältnismässig junge Frau unterstrich ihren Gedächtnissausfall zusätzlich noch mit einem schüchternen Lächeln Richtung Richter. Im privaten Rahmen kommentierte jemand Ihre Erscheinung später als "pure evil".

 

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